Die Wahrheit: Die Minus von Velo
An diesem Freitag ist der Internationale Weltfahrradtag. Einige Anmerkungen zum zwiespältigen Zweirad.
![Mann schiebt Rad durch die regnerische Nacht Mann schiebt Rad durch die regnerische Nacht](https://taz.de/picture/5595462/14/WahrFahrradAP03062022-1.jpeg)
Immer mehr Menschen sind mit dem Radl da. Und dort. Bei vielen gleicht die Wohnung mittlerweile einem Radlager, in Großstädten hängen sich manche ihr Fahrrad wie ein Kunstwerk an die Wohnzimmerwand, um dem Diebstahl vorzubeugen. Dank Verkehrschaos und steigender Spritpreise ist in Deutschland bald niemand mehr radlos. Gern wird diese Klientel als „Bewegung Dritter Juni“ bezeichnet. Radfahren – alte Volksweisheit – kommt der deutschen Seele sehr nah: Nach oben buckeln, nach unten strampeln.
Fahrräder bewirken viel Gutes. Sie kümmern sich um die Volksgesundheit, obwohl viele Radprofis eine ungesunde Gesichtsfarbe haben, weil sie ständig im Windschatten leben. Auch kommen sie oft recht ausgemergelt daher.
Trotzdem: Fahrräder tragen zur Belebung des innerstädtischen Verkehrs bei und halten die Reaktionsfähigkeit des Autofahrers geschmeidig. Sie haben Regisseure wie Vittorio De Sica zu seinem wohl grandiosesten Werk inspiriert: „Fahrraddiebe“. Oder Karl Valentin zu seinem legendären Dialog „Ihr Schutzblech klappert!“. Sie haben die Märchenwelt bereichert: „Radkäppchen und der böse Wolf“. Oder die zeitgenössische Musik: Heavy Pedal.
Schneisen im Wald
Dabei sind Fahrräder gar nicht so harmlos, wie sie immer tun. Als Mountainbikes schlagen sie Schneise um Schneise in den deutschen Wald. Als E-Bikes lichten sie die Reihen unserer Senioren, die nicht selten fortan die Radieschen von unten betrachten dürfen. Als Rennrad zwingt es überambitionierte Sportler dazu, sich mit verbotenen Substanzen vollzustopfen. Selbst im Amateurbereich gibt es kaum mehr Thekenmannschaften, sondern eher Apothekenmannschaften.
Als City-Bike bringt es unaufmerksame Pendler mittels Straßenbahnschienen zu Fall. Bei Gewitter bieten sie keinen ausreichenden Schutz, da ist eben kein Faraday’scher Käfig. Als Ergobike planen sie Attacken auf den menschlichen Kreislauf. Ähnlich verhält es sich mit den mörderischen Fahrradkurieren.
Kordon der Drahtesel
In manchen Städten – Münster, Heidelberg, Tübingen – sind die Bahnhöfe nicht mehr erreichbar, weil sie von einem schier undurchdringlichen Kordon abgestellter Drahtesel umgeben sind. In diesen Städten finden wir auch die ulkigsten Namen für Ladengeschäfte wie zum Beispiel „Fahrrad am Vaterland“, in denen Menschen arbeiten, die sich mit Speichennippeln ebenso auskennen wie mit der Hinterradgabel. Für viele sind solche Läden längst die Nabe der Welt.
Fahrräder haben den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, im Jahre 2002 noch Truppenwitz der Weltgeschichte, in schwierigen Zeiten eine zweite Chance beim Bund Deutscher Radfahrer gegeben. Und unsere Schweizer Nachbarn verfügten sowohl über Drahtesel als auch über Stahlrösser. Die Armee hat seit 1905 Militärfahrräder eingesetzt und ist wohl deshalb nie angegriffen worden. Die Radfahrtruppen wurden 2003 abgeschafft, die „Militärgöppel“ dienen nur noch als Transportmittel im Rahmen von Ausbildungsdiensten. Wenn das mal nicht voreilig war, angesichts der Weltlage.
In Zeiten der Pandemie bringen Fahrräder die Menschen an die frische Luft und verringern die Betriebskosten. In vielen Metropolen poppen Radspuren auf. Wer die nicht nutzt, hat schlicht ein Rad ab. Heute ist der Tag, an dem Radfahrer ihrer Göttin huldigen dürfen: der Minus von Velo. Stoßen wir drauf an – mit einem Radler, denn am 3. Juni feiern wir den Internationalen Weltfahrradtag.
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