Die Wahrheit: Bertie zum Hundertundfünfzigsten
Am 18. Mai 1872 wurde Bertrand Russell geboren. Ein Mathematiker und Philosoph, Kriegsgegner und Jahrhundertlogiker.
W ir müssen reden. Und zwar über den Mann, der heute 150 Jahre alt werden würde. Wir müssen reden über Bertrand „Bertie“ Russell. Nicht nur, weil er bestimmend für mein Leben war und mich in den siebziger Jahren zur Kriegsdienstverweigerung gedrängt und zum Mathematik- und Philosophiestudium veranlasst hat. Vielmehr war Russell für mich das 20. Jahrhundert schlechthin.
Patenkind des britischen Philosophen John Stuart Mill, hat er als britischer Hochadeliger im Ersten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigert und sich dafür eine Gefängnisstrafe eingehandelt. Einmal soll er vor Schreck vom Fahrrad gefallen sein, als ihm gegen Ende der Arbeit an der Principia Mathematica das schwerwiegende, später nach ihm benannte Paradoxon dämmerte, wonach unklar blieb, ob die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten, sich nun selber enthielt oder nicht.
Auch soll er Wittgenstein mal das Leben gerettet haben, als dieser nachts zu Besuch kam und von Russell wissen wollte, ob er nur normal bescheuert oder total abgedreht sei – und Russell ihm die mildere Form des Durchgeknalltseins attestierte, worauf Wittgenstein beschloss weiterzuleben.
Als einer der ersten Philosophen überhaupt hatte Russell Interesse an der deutschen Sozialdemokratie und besuchte schon 1920 Lenin in seiner Sowjetunion. Als er während des Gesprächs mitbekam, dass ständig Politkommissare aus dem ganzen Land hereinkamen und sich von Lenin Todesurteile unterschreiben ließen, wie andere Promis Autogramme geben, wusste Russell, dass es mit dem Kommunismus, bei dem verkorksten Anfang, kein gutes Ende nehmen würde.
Aber er blieb trotzdem ein verdammt linker Linker! Und das ist das Bewundernswerte bis Schmerzhafte an ihm. Er war als Pazifist lange gegen den Kriegseintritt der USA im Zweiten Weltkrieg und war danach ein Initiator der Antiatombewegung. Einsteins letzter Brief soll dessen Beitrittserklärung dazu an Russells Adresse gewesen sein.
Aber was am 2. Oktober 1948 geschah, macht Russell auch im logischen Sinne unsterblich. Mit Gründung der UNO war er für diese in diplomatischen Diensten unterwegs, als sein Flugzeug von Oslo kommend im Hafen nahe Trondheim bei der Landung aufschlug und mit der Nase ins Wasser stürzte. Alle Passagiere, die dort vorne saßen, ertranken. Russell überlebte, weil er hinten bei den Rauchern saß.
Daraus hat er die Erkenntnis abgeleitet, dass Rauchen möglicherweise ungesund, aber dafür lebensverlängernd sein kann. Und mit seinen knapp 98 Jahren, die er dann werden sollte, kann man ihm Lebenserfahrung nicht absprechen. Bis zum Tod blieb er tapfer und unbeugsam. Mit dem von ihm gegründeten Russell-Tribunal gegen den Vietnamkrieg war er bis zuletzt auf der richtigen Seite. Schade, dass er nicht anderthalb Jahrhunderte geschafft hat. Russell wäre der Richtige für einen Besuch beim Leninenkel Putin.
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