Die Wahrheit: Was reimt sich auf Putin?
Russlands Führer wünscht sich von Russlands Filmstar Nummer eins einen Spielfilm zu Ehren seiner großen Persönlichkeit (Teil 1).
Es war ein wunderschöner, sonniger Märztag in diesem zweiten Kriegswinter, der nicht Kriegswinter genannt werden durfte, weil es gar keinen Krieg gab, als das Telefon von Alexander Petrow klingelte. Obwohl es so früh war und der berühmte Schauspieler bis in die Nacht für die Premiere seines neuen Stücks am Ermolowa-Theater geprobt hatte, war er sofort hellwach. Die Nummer hatte nur seine Familie und sein Agent und der Theaterdirektor und seine Freundin Stasja, es musste also irgendetwas passiert sein, wenn er so früh angerufen wurde. Allerdings war es lediglich das Büro des Präsidenten der Russischen Föderation.
„Lass den Quatsch, Juri! Was soll das am frühen Morgen?“, maulte Petrow, der einen Streich eines alten Schulfreundes vermutete, der leider auch seine Telefonnummer hatte, bis ihm klar wurde, dass der Anruf tatsächlich aus dem Kreml kam, am Apparat war Putins Büroleiter höchstpersönlich.
Er hatte es gewusst, es konnte nicht gutgehen. Als er zusagte, im Ermolowa aufzutreten, rieten ihm alle ab. Ausgerechnet Tschechows „Onkel Wanja“. Das musste die dunklen Kräfte auf den Plan rufen. Seit der Krieg gegen die Ukraine, der nicht Krieg genannt werden durfte, ausgebrochen war, gefiel es zunächst ein paar Künstlern und Intellektuellen, dann immer mehr jungen Leuten im Internet, dem Krieg, der nicht Krieg genannt werden durfte, die Chiffre „Onkel Wanja“ überzustülpen. Ein ulkiges Spiel mit den Behörden, denen das Codewort genauestens bekannt war, dagegen tun konnten sie jedoch nichts. Wer ist schon gegen Tschechow in Russland? Obwohl kürzlich ein junger Sprayer in St. Petersburg festgenommen wurde, als er die Losung an die Wand sprühte. Zehn Jahre Straflager.
„Alexander Andrejewitsch Petrow“, rief ihn die ernste Amtsstimme zurück in die Gegenwart. „Der Präsident erwartet Sie morgen um 16 Uhr im Kreml. Eine Limousine wird Sie abholen. Heute machen Sie einen Coronatest, morgen machen wir einen hier mit Ihnen. Sie kommen allein, pünktlich!“ Ohne Verabschiedung legte der Anrufer auf.
Flucht! War sein erster Gedanke. Hätte er nur auf seinen Agenten gehört und die Finger von Tschechow gelassen. Er war immer unpolitisch gewesen, wäre er doch beim Action-Genre geblieben. „Rodin“ – dieser Riesenerfolg. Er als „The Hero“, als Spion für Russland, der in Deutschland lebte und sich martial-arts-technisch durch eine dieser sauberen deutschen Städte schlug, Düsselkölnje oder wie auch immer die hieß. Seither war er ein gemachter Mann. Aber nein, Alexander Andrejewitsch, du musst ja wieder mal auf der Theaterbühne politisch werden, schalt er sich selbst.
Frühzeitig stand er am nächsten Nachmittag vor dem Haus. Lange hatte er überlegt, was er anziehen sollte an diesem wahrscheinlich wichtigsten Tag seines Lebens. Wollte er als der größte Filmstar Russlands gehen, chic und bunt? Oder lieber zwei warme Mäntel übereinander ziehen und festes Schuhwerk an den Füßen tragen? Wie seine Großmutter immer allen geraten hatte für den Fall, dass man nachts abgeholt wurde vom Geheimdienst NKDW.
Eine Nacht ohne Schlaf
Er hatte sich schließlich für seinen blauen Lieblingsanzug mit dem Hemd aus Paris entschieden, zuvor aber die ganze Nacht kein Auge zugetan, sämtliche Proben waren erst einmal abgesagt. Direktor Andrejew war in Tränen ausgebrochen, als er erfuhr, was ihm bevorstand. Sein Jammern klang ihm noch in den Ohren, als er die Hauptpforte des Kreml erreichte.
Aus den Augenwinkeln hatte er bemerkt, dass ihnen seit der Twerskaja-Straße ein dunkler Wagen gefolgt war. Das versprach nichts Gutes, dachte Petrow, als ein verblüffend junger Beamter in einem sagenhaft teuren Maßanzug die Wagentür aufriss, um ihn wortlos ins Zentrum der Macht zu führen. Auf der Burg an der Moskwa war von den düsteren Folgen des Kriegs, der nicht Krieg genannt werden durfte, nichts zu spüren. Am liebsten hätte er jetzt wie in „Rodin“ ein paar Handkantenschläge verteilt und sich abgesetzt. Aber das hier war bedauerlicherweise das wirkliche Leben.
Schier endlos zogen sich die hallenden Gänge und Flure hin, über denen ein schwerer, süßlicher Geruch lag. Wie viel Gebäude sie bereits durchquert hatten, konnte Petrow bald nicht mehr sagen, längst hatte er die Orientierung verloren und fühlte sich wie im Anflug auf einen fremden Planeten. Der allerdings reichlich überhitzt war. Schweißtropfen rannen ihm den Rücken hinab. Endlich öffnete sich eine Tür, und ein wortkarger Weißkittel ließ ihn barsch Platz nehmen und den Ärmel hochkrempeln. Dann zapfte er ihm Blut ab für den zweiten Coronatest.
Panische Angst vor Covid
Putin hat also tatsächlich diese panische Angst vor Covid, wie gemunkelt wird, überlegte Petrow, während sie zu dritt, ohne ein Wort zu wechseln, auf das Ergebnis warteten. Negativ. Der Arzt nickte und schickte ihn zusammen mit seinem Begleiter durch eine Desinfektionsschleuse. Aus allen Winkeln wurden sie von einem feuchten Nebel eingesprüht. Dann ging es weiter durch die Katakomben des Kreml. Bis er sich schließlich in einem prachtvollen mit Gold ausgeschlagenen Saal befand. „Warten Sie hier!“, befahl der Begleiter und verschwand.
Petrow geriet immer mehr ins Schwitzen, obwohl er völlig still dastand. Seine Gedanken überschlugen sich. Wie sollte er Putin eigentlich anreden? Warum hatte er sich darum nicht früher gekümmert? Hätte er doch jemanden gefragt, der sich damit auskannte. Herr Präsident? Eure Exzellenz? Oder schlicht Towarischtsch? Ja, wenn er lebensmüde war, dann könnte er ihn ja mal „Genosse“ nennen, stöhnte Petrow leise auf, um gleich zu verstummen. Denn wie von Geisterhand öffnete sich eine deckenhohe Flügeltür und mit seinem typisch eiernden Schritt, der Petrow schon immer an eine rudernde Ente erinnert hatte, trat Wladimir Wladimirowitsch Putin ein.
Der russische Präsident hatte sein Arbeitsgesicht aufgesetzt und grinste geschäftsmäßig. Er grüßte den Wartenden, ohne ihn anzusehen, und bot ihm mit einer wie einstudiert wirkenden Geste einen Platz am anderen Ende des monströsen Tisches an. „Alexander Andrejewitsch“, hob Putin mit seiner stets eine Spur zu hellen Stimme an, „ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt