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Die WahrheitLeise Kinkerlitzchen

Neue Protestformen: In Berlin haben Aktivisten jetzt die stillste Demo der Welt entwickelt. Teilnehmer, Behörden und Passanten sind begeistert.

Selbst die Polizei steht leise da bei der Stillen Demo Foto: AP

Auf den ersten Blick sieht man sie kaum. Auf den zweiten auch nicht. Junge Männer und Frauen, die gegen den Klimawandel, gegen Krieg und andere Kinkerlitzchen demonstrieren. Manche tragen kleine Buttons mit Parolen an ihren Mänteln und Jacken, die meisten gar nichts. Vor allem hört man sie auch nicht. Es ist nämlich ein unauffälliger, stiller Protest, keine Sprüche werden skandiert, keine Forderungen gestellt.

Finn Kleinhuber ist zufrieden. Er hat diese unauffällige Demonstration organisiert, die von Passanten als nicht störend wahrgenommen wird. „Ein voller Erfolg“, sagt Kleinhuber begeistert, „heute haben wir 2.000 Aktivisten hier. Und der Rest merkt kaum was davon.“ Hier meint ein riesiges ehemaliges Flugfeld in Berlin, das jetzt als Naherholungsgebiet genutzt wird – die Tempelhofer Freiheit. Viel Platz für Protest.

„Wir haben den Ort bewusst gewählt“, sagt Kleinhuber, „erst mal wegen der Freiheit. Unsere Bewegung steht ja für Freiheit. Dann der Platz, den wir hier haben.“ In der Tat verteilen sich die 2.000 Teilnehmer auf dem gesamten Gelände von rund dreieinhalb Millionen Quadratmetern sehr unauffällig und störungsfrei.

„Die Bürgerinnen und Bürger haben genug davon, ständig in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden“, sagt Kleinhuber. Deshalb hat er die Initiative „Protest ja – aber leise“ gegründet, die von der FDP und einigen Wirtschaftsverbänden unterstützt wird. „Ständig ist irgendwo eine Demonstration, für die Straßen gesperrt, Verkehrsströme umgeleitet werden müssen – gerade im Innenstadtbereich. Ich erinnere nur an die Antikriegsdemo gegen Putin neulich – glücklicherweise war Sonntag und der Berufsverkehr wurde nicht beeinträchtigt. Dann kommen diese verrückten Aktionen von Greenpeace oder Extinction Rebellion oder was auch immer dazu. Ich erinnere nur daran, wie Jugendliche letztens den Hambacher Wald besetzt und verwüstet haben – die armen Bäume“, schüttelt Kleinhuber noch immer entsetzt den Kopf.

Streiks von der Straße kriegen

„Und jetzt“, fährt er fort, „ganz aktuell diese durchgeknallten Teenies, die sich auf die Fahrbahnen der Autobahnzufahrten kleben. Und von den ganzen Streiks will ich gar nicht erst anfangen. Ich meine Streiks, das ist Arbeitsverweigerung, dafür muss man doch nicht auf die Straße gehen. Wenn Homeoffice zu Hause gemacht wird, dann können Streiks doch auch zu Hause gemacht werden. Meinetwegen auch per Zoom.“

Die stillen Proteste werden von der Bevölkerung gut angenommen. Passanten am Berliner Alexanderplatz sind begeistert. „Ich hoffe, das macht Schule“, sagt ein älterer Herr, „vielleicht sollten wir überhaupt so ’nen zentralen Demoplatz einrichten“, schlägt er vor, „für Volksfeste und Zirkusse haben wir das ja schon, da könnten die Demos, Proteste und Kundgebungen stattfinden. Weil, da weiß man dann auch immer, wo man hin muss, wenn man mal zu einer Demo will. Aus Platzgründen müsste das wahrscheinlich irgendwo am Stadtrand sein, vielleicht auch auf einer Brache in einem alten Industriegebiet in Brandenburg. Nicht, dass wir hier so eine Paradestraße mitten in der Stadt kriegen wie zu DDR-Zeiten.“ Dann entschuldigt er sich, er sei noch mit ein paar Freunden zum Spaziergang verabredet und wolle nicht zu spät kommen.

Proteste demokratisch erneuern

„Diese stillen Proteste erneuern unser demokratisches System“, meint Ulf P., Chefredakteur einer großen Tageszeitung. „Das funktioniert aber nur, wenn die Medien ihren gesellschaftlichen Auftrag und ihre Verantwortung ernst nehmen und diese Demonstrationen nicht ständig derart aufbauschen. Der Protest kann ja nicht still sein, wenn die Medien so ein Bohei darum machen“, meint P.

„Über jede Demonstration, über jeden Umweltprotest wird von zig Zeitungen berichtet und von Radio und Fernsehen auch, da denkt der mündige Bürger selbstverständlich bald, dass es sehr viele Demonstrationen gibt und sehr viele Menschen für oder gegen etwas sind. Dabei stimmt das gar nicht. Das sind einfach Falschinformationen. Und – mal ganz ehrlich – eine Fridays-for-Future-Demo ist doch wie jede andere Kinderdemonstration auch, da muss ich doch nicht jede Woche darüber berichten lassen. Die Themen sind ja eh immer dieselben. Sollen wir zum 76. Mal berichten, wenn wir schon über die ersten 75 geschrieben haben? Ich meine Nein“, bekräftigt der alerte Chefredakteur.

Einer der Protestierenden auf dem Flugfeld gefällt die neue Protestform ausdrücklich, ihre Eindrücke seien fantastisch, sagt sie: „Das war heute mal ganz anders als sonst, so still, so intensiv. Das ist ja auch mal ganz angenehm. Ohne Lautsprecher, lange Reden, alles too much. Und man muss vorher keine Schilder basteln oder schwere Transparente rumtragen. Die werden hinterher ja doch weggeworfen, das ist dann noch mehr Müll.“

Dem stimmt auch Finn Kleinhuber zu: „Das war jetzt schon die zehnte stille Demo, die wir veranstaltet haben. Und das war meiner Meinung nach die stillste Demo der Welt. Nirgendwo wurde in den Medien berichtet und keine Straße musste gesperrt werden. Das ist doch ein schöner Erfolg.“

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3 Kommentare

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  • Sehr gut zu Ende gedacht.



    Am besten finde ich die Idee, per Zoom zu streiken, damit es auch möglichst viele Menschen mitbekommen ;-)

  • Ja liebe taz, geht's euch noch gut? Wieso wird so einem Kleinkrämer (Kleinhuber) ein ganzer Kommentar gewidmet? Einem, der gegen FFF und Umweltaktivisten hetzt? Ich dachte, Moment mal, habe ich mich in der Zeitung geirrt? Ich dachte eigentlich, ich hätte die taz-Seite aufgerufen. Es muss ein Irrtum vorliegen. Wenn der Kleinkrämer nicht auffallen, schon gar niemanden stören will, schon gar kein Bohei will, wieso schweigt ihr nicht einfach über ihn? Demos muss ja niemand mitbekommen, schon gar nicht ihr Thema. Ich hoffe, bei meinem nächsten Besuch des Tempelhofer Feldes muss ich mich nicht über leise herumstehende Polizisten ärgern, die eine Demo bewachen, die keine ist und auch noch den Freiraum aller anderen Besucher schmälert. 2000 Leute, eine Frechheit. Er möge sich doch bitte lieber eine Brache am Stadtrand aussuchen, um wirklich niemanden zu stören... Oder gleich in seinem Wohnzimmer hocken bleiben. Dem Verkehr wird schon genug Lebensraum der Stadt gegeben, wieso sollen Demos künftig auch noch den wirklich geringen Freiraum der Metropole den Erholungssuchenden wegnehmen anstatt dazu die Strassen zeitweise umzufunktionieren? Und es ist ja wirklich immer nur vorübergehend.



    Sinn einer Demonstration ist das Zeigen, nicht das Verbergen! Sagt ja schon der Name. Da viele Themen und Interessengruppen NICHT gehört werden, müssen diese sich Gehör verschaffen. Dazu braucht es dann Transparente, Trillerpfeifen, Kochtöpfe, Straßensperrungen - alles legitim und in einer Demokratie sehr wohl gut zu Gesicht stehend.



    Nach Herrn Kleinhuber und den einseitig ausgewählten Passanten darf man*frau also seine Meinung nur noch denken, nicht zeigen und schon gar niemanden damit "belästigen".



    Scheint mir ein Kollateralschaden von zwei Jahren Pandemiemaßnahmen zu sein - aber hoffentlich heilbar. Und hoffentlich besinnt sich die taz darauf, wem sie hier Gehör verschafft. Dieser Artikel verstört mich sehr.

  • Das kommt mir aber schon ein bisschen seltsam vor : sollte Protest denn nicht auch gehört werden und braucht es dazu denn nicht auch eine gewisse Sichtbarkeit und ja : auch zuweilen etwas, mal mehr und mal weniger, Störung, je nach Dringlichkeit ? Um entsprechend etwas und auch Menschen zu bewegen ..