Die Wahrheit: Das Sensibilitätsministerium
Träume und Schäume: Wie es ist, wenn einem die Bundesregierung nachts in die Gehirnwindungen schaut.
S eit Monaten träume ich wie seit vielen Jahren nicht mehr, wüst und kraus, also einen wahren Mist. Ich nehme an, dass das mit dem Verlust der Außen-, Um- und Mitwelt zu tun hat, mit der Entstofflichung des Lebens, mit seiner Verwandlung in ein sogenanntes Homeoffice, und da das Ich dort nicht mehr Herr im eigenen Hause ist, arbeitet es nachts im Untergeschoss unverdrossen weiter wie in einer nie endenden Schicht in einem Upton Sinclair’schen Schlachthof.
Bedrängendes schwirrt durch die halbwegs stillgelegte Hirnapparatur, aber neulich ward ich aufs Schönste überrascht, ja übertölpelt. Es gibt Träume, in denen man sich beim Träumen zusieht. Ich weiß nicht, ob Philosophie und Psychologie diese Merkwürdigkeit begutachten und bedenken: dass im Unterbewusstsein Akte der Selbstreflexion statthaben.
Jedenfalls schlief die schöne Frau wie eine Weltmeisterin im Schlafen neben mir, und ich schlief auch, und ich träumte, und mein Traum schloss die Erkenntnis ein, dass er ein solcher sei, und ich träumte sogar, die schöne Frau träume gerade das Gleiche wie ich.
Wohltuendes Traumgeschehen
Diese Träumerei ist gemeinhin eine komplizierte, unangenehme Veranstaltung, doch diesmal war sie ausgesprochen wohltuend, ich weiß sogar noch, dass ich in meinem Traum dauernd lachte. Denn die schöne Frau und ich, wir mussten uns ununterbrochen gegenüber dem Sensibilitätsministerium der Bundesregierung verantworten.
Täglich bekamen wir Mails, in denen das Ministerium uns aufforderte, zu Aussagen, die wir getätigt hatten oder deren wir bloß verdächtigt wurden, Stellung zu nehmen, um unsere Unschuld zu belegen und etwaige „Hintergedanken“ zu entkräften, um die entsprechenden „Verdachtsfälle“ auszuräumen, eine „tiefere und intensivere Prüfung“ unserer Aussagen behalte sich das Sensibilitätsministerium ungeachtet der möglicherweise abgeschlossenen Beweisfeststellung allerdings vor, auf unbestimmte Zeit wohlgemerkt.
Unter diesen Sätzen befanden sich ausschließlich Willensbekundungen oder Wunschäußerungen der schönen Frau und von mir: „Ich muss mal wieder Heidegger lesen.“ – „Ich möchte eine Frikadelle essen.“ – „Ich will mal wieder mit ein paar Skihasen auf der Hütte abrocken.“
Ich notierte diese Sätze, nachdem ich aufgewacht war, und ging ins Bad. Unter der Heizung lag eine angebrochene Packung Scheißhauspapier. Auf ihr stand in baerbockisch schwungvollen Buchstaben: „Sanft & Sicher“. „Der Claim!“, dachte ich. „Das ist der Claim des Sensibilitätsministeriums!“
Ich latschte in die Küche und kochte Kaffee. Was für ein Glück!, dachte ich. Wann befruchten sich schon mal Traum und Realität? „Du hast dich zu viel mit Wokeness beschäftigt“, sagte die schöne Frau, nachdem sie die Weltmeisterschaft im Schlafen gewonnen und ich ihr von meinem Traum erzählt hatte, und setzte ihre elegante schwarze Lesebrille auf, mit der sie noch mal schöner ausschaut, als sie ohnehin ausschaut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken