Die Wahrheit: Kuschelweiche Intensivbetten
In Bielefeld öffnet jetzt die alternativloseste Alternativklinik Deutschlands ihre himmelweiten Coronapforten für Patienten.
Dr. Xavier F. Bhaktus grinst von einem Ohrläppchen zum anderen, während Journalisten aus ganz Deutschland ins Foyer seiner neu eröffneten Klinik im Norden von Bielefeld strömen, um ausgewogen über jede neue Quacksalberei zu berichten. Das Funkeln seiner Goldzähne raubt den Kollegen in der ersten Reihe fast die Besinnung, aber sie bleiben standhaft. Trotz hoher Corona-Infektionszahlen trägt Dr. Bhaktus keine Maske.
„Haben Sie keine Angst, treten Sie näher, meine hochverehrten Damen, Herren und Diversen! Ich trage eine virendichte Energiehülle um meinen Astralleib“, erklärt der dürre Arzt mit der solariumgebräunten Nacktmullhaut und verwedelt mit der Hand etwas Aura, die verdächtig nach Dinkelschrotpups riecht.
Einige Journalisten fallen um, andere kneifen die tränenden Augen zusammen. Aber da landet Dr. Bhaktus schon den nächsten Coup. „Als Aperitif reichen wir zur Feier des Tages einen Booster-Cocktail aus abgelaufenem Juckpulver und Wildschweinpisse.“
Wie aufs Stichwort kommt eine ganze Armada barbusiger Krankenschwestern mit dicken Zigarren zwischen den aufgespritzten Lippen ins Foyer gestürmt. Die könnten aber auch zu den heftigen halluzinatorischen Nebenwirkungen gehören, die das Gebräu hervorruft. „Es hat keinen Sinn sich zu wehren“, ruft Xavier F. Bhaktus, als die Nadeln in Oberarme gleiten. „Bei uns herrscht längst Impfpflicht!“
Harte alternative Fakten
Das dreckige Dutzend Reporter, das nach dieser Injektion überhaupt noch steht, folgt Bhaktus nun auf die erste Station seiner brandneuen alternativen Klinik. „Bei uns werden nur Therapien nach harten alternativen Fakten angewendet, die auf zuverlässigen Selbststudien beruhen“, erklärt er und schreitet auf einen gigantischen Apparat zu. Er sieht aus, als hätte man ihn aus der Konkursmasse einer Kanalreinigungsfirma gekauft.
„Das ist unser Pferde-Entwurmer, mit Turbo-Rekto-Modus“, sagt Bhaktus stolz. „Nur was für echte Kerle! Wer möchte mal ausprobieren?“, fragt der Arzt und nimmt einen der armdicken Schläuche vom Gerät.
Die gelichtete Journalistenschar tritt einen Schritt zurück, einige simulieren Ohnmachtsanfälle. Sofort kommen Pfleger mit buschigen Schnauzbärten und Hosenträgern angelaufen und ergreifen die Simulanten.
„Ich liebe Freiwillige! Ab auf die Intensivstation mit ihnen!“, ruft Bhaktus. „Sie werden sehen, es geht den Kollegen sofort besser. Wir haben die kuscheligsten Intensivbetten von ganz Deutschland! Aber zuerst kommen Sie bitte mit in unsere Globuli-Expressbahn.“
Der Chefarzt führt die Presse in eine große Halle. Von einer Rampe geht es drei Stockwerke steil bergab. In einer Halterung hängen mannshohe Zuckerkugeln mit kleinen Türchen. „Bitte alle einsteigen!“, fordert Bhaktus auf. „Wir haben herausgefunden, dass Globuli sehr viel besser wirken, wenn man sie nicht in den Körper aufnimmt, sondern den Körper in sie hineinsteckt!“
Tonnenschwere Zuckerkugel
Ein besonders wagemutiger Boulevardreporter stürmt boulevardesk nach vorne. „Endlich wieder abfeiern“, schreit er mit irrer Stimme und springt in eine offene Kugel. Der Aufprall reißt sie aus der Halterung, dann saust die tonnenschwere Zuckerkugel durch Loopings und Kurven, bevor sie aus der Bahn springt und eine Wand durchschlägt. „Eieiei“, sagt Bhaktus. „Typischer Impfdurchbruch. Das kommt schon mal vor. Wir werden den armen Kerl noch mal mit Bandwürmern boostern!“
„Dr. Bhaktus auf die Intensivstation, Dr. Bhaktus auf die Intensivstation“, schallt es aus den Lautsprechern. Der Klinikleiter strafft sich. „Jetzt wird es ernst, folgen Sie mir!“ Er führt die vierte Gewalt schnellen Schrittes durch die Gänge.
Eine Schleuse kommt in Sicht. Daneben stehen drei Schwestern, die Lederhosen und Dirndl austeilen. Die Journalisten tauschen skeptische Blicke aus, doch Bhaktus treibt sie zur Eile an. „Schnell, jetzt geht es um alles!“
Stimmungsvoll kostümiert durchqueren die Pressevertreter die Schleuse, in der sie mit Kräuterschnaps besprüht werden. Dann ertauben sie augenblicklich, denn auf der ganzen Station läuft der „Après-Ski-Mix 2008“ in ohrenbetäubenden 120 Dezibel. „Das zerstört das Virus von innen heraus! Ganz umweltfreundlich mit Schallwellen“, brüllt Bhaktus.
In den Intensiv-Himmelbetten auf Station liegen die bereits abtransportierten Reporter und versuchen, sich zu befreien. Manche werfen mit Kissen nach den Pflegern, anderen quellen die Augen aus den Höhlen. „Nebenwirkungen gibt es immer“, sagt Bhaktus und zuckt mit den Schultern. „Aber eines ist sicher: Dies ist die alternativloseste Alternativklinik Deutschlands! Und der Andrang ist enorm.“
Ein irres Lachen entwindet sich seiner Kehle. Dann reißt sich der Arzt eine Gummimaske vom Kopf und zeigt sein reptiloides Gesicht. „Heute Bielefeld, morgen die ganze Welt“, geifert das Echsenwesen fröhlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste