Die Wahrheit: Sturm auf den Bienenstock
Neues aus Neuseeland: Ultra-Rechte aus Aotearoa versuchten diese Woche in Wellington, den Sturm auf das US-Kapitol vom Januar nachzustellen.
E inst waren wir allen historisch voraus: der erste Mann auf dem Mount Everest und die erste Frau an einer Wahlurne waren Kiwis. Aber meistens hinken wir Pioniere der großen weiten Welt hinterher. In Sachen Covid-19 war das ein Segen. Anderthalb Jahre lang konnten wir uns im coronafreien Paradies sonnen, bevor uns im August Delta einholte. Zeitversetzt spielte Aotearoa diese Woche auch den Sturm aufs Kapitol nach – zum Glück im Taschenformat.
Jacinda Ardern verkündete im Oktober strikte Vorschriften, um das Land vor der Viruswelle zu bewahren. In etlichen Berufen, von Schule bis Krankenhaus und Feuerwehr, dürfen nur noch doppelt Geimpfte arbeiten. Seitdem brodelt es im Lande. Aufgepeitscht wird die Schar der Impfskeptiker vom rechten Rand, angeführt vom ultrachristlichen Sektenführer Brian Tamaki.
Ein Protestzug setzte sich vor zwei Wochen symbolträchtig Richtung Waitangi in Bewegung – die bedeutungsvollste Stätte für Maori. Dass die Anti-Vaxxer ihren Aufmarsch dort abhielten, wo die indigene Bevölkerung extrem durch Covid-19 gefährdet ist, und das Spektakel auch noch Hikoi tauften, stieß etlichen Maori-Aktivisten auf. Hikoi heißen nämlich die Landmärsche, mit denen Maori in den 80ern gegen den Kolonialraub protestierten.
Trommeln für Dumme
Das war nur der Vorgeschmack. Auf einschlägigen Telegram-Kanälen wurde seitdem getrommelt: Was Trumps QAnon-Schamanen in Washington schaffen, können Kiwis auch! Diktatorin Jacinda – angeblich ein Trans-Mann wie Michelle Obama – gehöre vom Volk verhaftet. „Oder erschossen“, so ein Aufruf. „Wenn wir keine Gewehre haben, verpassen wir ihr eine dreifache Dosis Pfizer.“ Öffentliche Hinrichtungen würden folgen.
Kein schlechter Witz: Der Sturm vom 6. Januar sollte sich am 9. November in Wellington wiederholen. Das friedliche Land nahm die Drohung ernst. Das Parlament, Beehive – Bienenstock – genannt, hatte am Dienstagmorgen die schärfsten Sicherheitsvorkehrungen seit 40 Jahren. Damals kam es zu schweren antirassistischen Ausschreitungen während der Tour der südafrikanischen Rugby-Mannschaft Springboks.
Und Tausende fielen am Dienstag ohne Masken in der Hauptstadt ein: Trump-Fans, Esoteriker, Impfgegner, Hippies – die gleiche Rebellenmischpoke wie überall, mit Nazisprüchen, Verschwörungsplakaten und einem Galgen. Biker-Gangs waren dabei, die durch die Innenstadt knatterten, und Maori, die einen wütenden Haka hinlegten. Waffen wurden nicht gezogen, aber es flogen Tennisbälle mit „Poison“-Aufschrift auf Journalisten und Wachleute.
Auch in anderen Städten marschierten Freiheitskämpfer auf. Ein Demonstrant biss einen Polizisten. Vor Sylvia Park in Auckland versammelte sich eine Menschenmasse. Allerdings waren es keine Impfgegner, sondern nur Konsumfans. Das Einkaufszentrum öffnete nach wochenlangem Lockdown wieder seine Pforten. Endlich Freiheit!
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