Die Wahrheit: Meine DDR beim Impfen
Ein kleines knallrotes Ding sorgt für Aufregung im Impfzentrum. Auf dem Einband prangt das Logo des „Arbeiter- und Bauernstaats“.
Na, der macht ja was her“, sagt die studentische Mitarbeiterin des Impfzentrums im stillgelegten Flughafen Berlin-Tegel, nachdem ich ihr meinen knallroten DDR-Impfausweis unter der Plexiglasscheibe durchgeschoben habe. Mittlerweile ist das Teil schon 31 Jahre alt und womöglich eines der letzten, das durch die Druckerwalzen gepresst wurde.
Nachdem auch ich Ende Juni 1990 in die Welt gepresst wurde, standen sofort Ärzte parat und übergaben meinen Eltern feierlich das noch druckwarme Impfbüchlein. Dann rammten sie mir allerlei Spritzen gegen Masern, Hepatitis und weitere Seuchen in den Arm, damit der Westen endlich versteht: Unsere Wonneproppen sind euren überlegen. Wenige Wochen später war der Staat kollabiert, aber es gab ja noch dieses knallrote kleine Ding.
Solch einen Ausweis scheint die Mitarbeiterin in Tegel noch nie gesehen zu haben. Er macht auch tatsächlich einiges her. Die 30 gebundenen Seiten eignen sich bestens zum Schmökern. Das dunkelrote Kunstleder erinnert an die Erstausgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1896. Auf dem Einband prangt das Logo des „Arbeiter- und Bauernstaats“: Hammer und Zirkel, ummantelt vom Ährenkranz. Alles in allem ist der Deutsche Demokratische Impfausweis viel schicker als dieser vergilbte BRD-Lappen, der eher an einen abgelaufenen Schülerausweis erinnert.
Die Mitarbeiterin gibt mir meinen Ausweis zurück, und ich werde in den Schilderwald des Impfzentrums geschickt. Nach einigen Korridoren, überwucherten Pfaden und Pfefferkuchenhäuschen gelange ich endlich in die für mich vorgesehene Impfkabine. Der zuständige Mitarbeiter setzt seine Sonnenbrille auf, scannt meinen Impfausweis und fragt: „Und Sie sind der Russe?“
Nein, ich komme aus der DDR, hätte ich fast gesagt. Hammer und Sichel ist Russland, Zirkel und Hammer DDR, Haken und Kreuz Deutschland vor 1945, Schwarz-Rot-Gold Deutschland nach 1945. Skeptisch schaut er mich an und widmet sich dann wieder seinen Spritzen, die er mit dem Zeigefinger anschnippt. Nach ein paar Minuten schiebt die impfende Ärztin den Vorhang beiseite: „Ach, Sie haben ja auch einen“, sagt sie und strahlt.
Sie hätte heute schon ein paar Opas hier gehabt mit den roten Büchlein. Überhaupt sei die DDR beim Impfen viel fortschrittlicher gewesen. Schon früh bekam dort jeder die Nadel gegen Diphterie und Tuberkulose. Impfzentren gab es noch in der letzten Ecke der Republik, der Stoff stammte vom Russen. Deshalb sei der Kretschmer auch so heiß auf das Sputnik-Zeug, kolportierte die Ärztin einen Opa.
Den Piks bemerke ich wegen unserer Erörterungen gar nicht, und nun klebt unter meiner letzten Polio-Impfung von 1991 der Moderna-Sticker. Dazu steckten sie mir einen kleinen Faltzettel auf Englisch zu, für Auslandsreisen. Sonst gehe ich mit meinem letzten DDR-Ausweis demnächst in Griechenland noch als Russe durch.
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