Die Wahrheit: Die Neue von Baerbock
Es klingt wie ein billiger Groschenroman. Und es ist auch einer: Xenia Witherspoon ist die neue PR-Waffe der gebeutelten Grünen.
Annalena Baerbock legte ihre Stirn in Runzeln, als sie die Pressemitteilung ihrer neuen Öffentlichkeitschefin las. War Xenia Witherspoon tatsächlich ihr Geld wert?
„Baerbock triumphiert – Rufmord-Kampagen gescheitert: Nach der grellen Schmutzkampagne von Boulevard, Betonköpfen und Lobbyisten gegen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock starten wir Grünen einen großen Versöhnungswahlkampf. Er wird die Fehlbarkeit all unserer Entscheidungen als Menschen und das Menschlich-Allzumenschliche all unseres Handelns in den Mittelpunkt stellen und den politischen Gegner hart attackieren.“
Mit Slogans wie „Fair geht vor!“, „Packt euch doch mal an die eigene Nase“ und „IHR macht wohl nie FEHLER!“ Denn hinter unserer grünen Partei, sagen wir Grünen, steckt ein liebenswerter Mensch, Annalena Baerbock – die auch mal Fehler macht.
Und hinter deren liebenswerter Öffentlichkeitsarbeit steht ein weiterer Mensch: Xenia Witherspoon, entfernte Verwandte aus der bekannten Schauspielerdynastie und die Nummer eins auf dem heiß umkämpften Feld der Krisenkommunikation. Wird es Frau Witherspoon gelingen, die Turbulenzen zu bezwingen, die die Partei leider selber unablässig erzeugt – im Verein mit ihren Gegnern und der zahlenmäßig enorm großen Gruppe der geistig bestohlenen Journalisten?“
„Ist das nicht ein bisschen sehr selbstkritisch?“, fragte Annalena Baerbock jetzt ihre neue Öffentlichkeitschefin erstaunt. „Und stehen nicht vielleicht Sie ein bisschen zu sehr im Mittelpunkt der Pressemeldung?“ Witherspoon war empört. „Nö, das musso! Wir haben uns vollständige Transparenz auf die Fahne geschrieben, das wird die Gegner beschämen. Und schwuppdiwupp wenden sich die Umfragewerte wie ein umgelenkter Wirbelsturm gegen die ganzen Kleingeister und Beckmesser in Politik und Medien. Wer zuletzt lacht, lacht am besten! Und was den eigentlichen Berichterstattungsanlass angeht – Ihre neue Öffentlichkeitsstrategie –, das verdeutlichen wir am besten über ein positiv besetztes Gesicht, nämlich meines.“
„Na gut, Sie werden es wissen“, zuckte Baerbock gelangweilt mit den Schultern. Dafür war sie nicht in die Politik gegangen, dass jetzt plötzlich jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt, kritisch geprüft und unter die Lupe genommen wurde! Über die lächerlichen Details sollten wie immer die Fachleute entscheiden: in der Politik die PR-Leute und in der Publizistik die Ghostwriter-Schreibstube, der Verlag, Lektorat, Werbung und Vertrieb.
Grüne Apokalypsenapotheose
Es war ein dunkelgrauer, brütend warmer Montagmorgen in jenem verregneten Katastrophensommer, in dem das Wetter so pflichtgetreu verrücktspielte, dachte Xenia Witherspoon wehmütig, als stünde es bei den Grünen auf der Gehaltsliste. Als sei es Bote des Klimas, Menetekel des kommenden Infernos, Vorschein der erwartbaren Apokalyse. Das auch dem Dümmsten die Notwendigkeit einer starken Regierung unter grüner Führung vor Augen führte, einer Regierung, die das Unheil der künftigen Jahrzehnte in letzter Sekunde abzuwenden vermochte.
Doch die Kräfte des Bösen, durchzuckte es Xenia Witherspoon ergrimmt, schliefen nicht. Sie mobilisierten ihre niedersten Instinkte (Markus Blume, „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, Bild-Zeitung), und innerhalb weniger Wochen stand der sichere Sieg der ersten grünen Kanzlerkandidatin Spitz auf Knopf. Es bestand die Gefahr, dass sich das einfache Volk von den reaktionären Klimakrise-Ignoranten und Profiteuren aufhetzen ließ und sich wochenlang das Maul über den Charakter der Kanzlerkandidatin zerriss. Das konnte die Mehrheit kosten! Gegen die Anfangsfehler der sogenannten Abschreibe-Affäre halfen jetzt nur noch rückhaltlose Transparenz und verbessertes Krisenmanagement unter neuer Verantwortung. Nämlich ihrer!
Denn Witherspoon, die gerade erst ihren Schreibtisch einrichtete, war die Beste auf ihrem Feld. Sie hatte den Promotionsstudiengang Krisenkommunikation an der anthroposophischen Uni Witten/Herdecke mit „summissima cum laude“ abgeschlossen. Ihr makelloser Lebenslauf wies eine Reihe sehr bekannter Stationen auf, darunter die international bekannten Firmen Monsanto, BP und die Elektrizitätswerke Tschernobyl. Sie würde diese Krise in den Griff kriegen! Weil sie die Beste war, so wie Baerbock auf ihrem Feld (Menschlichkeit) die Beste war!
Dass die Situation heikel werden würde und ihre Fähigkeiten als Feuerwehrfrau der Krisenkommunikation auf die Probe gestellt, ahnte Witherspoon spätestens, als die Bild-Zeitung vor wenigen Tagen titelte: „Deutschlands faulste Studentin: So hat sich Annalena Baerbock durch ihr verpfuschtes Leben schmarotzt!“, und am anderen Morgen nachlegte mit: „So hat sie ihr Lebensrecht verwirkt!“
Genialer Werbeslogan
Witherspoon kramte in ihren Papieren. „Und was die weitere Wahlkampfstrategie betrifft“, sagte sie zur Kandidatin, „würde ich vorschlagen, die bisherigen Parolen ‚Fair geht vor!‘, ‚Packt euch doch mal an die eigene Nase‘ und ‚IHR macht wohl nie FEHLER!‘ um noch eine zu ergänzen.“ – „‚Was ihr nicht wollt, dass man euch tut …‘?“, schlug Baerbock mutlos vor. – „Nein!“, rief Witherspoon begeistert: „ ‚Versöhnen statt spalten!‘ “ Ach so. Genial! Annalena Baerbock sah die Zukunft mit einem Mal wieder in leuchtendem Grün.
„Und für den Umgang der Grünen mit der Presse habe ich mir Folgendes überlegt“, sagte Witherspoon stolz: „‚Unser New Green Deal: Wir halten erst die eine Wange hin, dann auch noch die andere!‘ “ Baerbock sprang erleichtert auf: „Irre! Dann fragen sich die Leute automatisch: Wie können wir das mit unserem Gewissen vereinbaren?! Machen wir! Und jetzt nächster Gesprächstermin bei mir, bis später.“
Xenia Witherspoon straffte ihre Schultern und bereitete sich mental auf wiederum ihren nächsten Termin vor: eine harte Auseinandersetzung mit Starmedienanwalt Christian Schertz. Sie musste den eitlen Herrn unbedingt davon abhalten, sich mit Gegendarstellungen durch die deutsche Presselandschaft zu klagen und das mediale Scheinwerferlicht so auf der letztlich doch etwas peinlichen Geschichte mit dem aufgebrezelten Lebenslauf und den ganzen PR-Peinlichkeiten aus den eigenen Reihen zu halten, die einer künftigen Kanzlerin eigentlich unwürdig waren.
Witherspoon legte ihre Stirn in Dackelfalten. Schon dachte sie an die nächste schlechte Nachricht. Gerüchteweise hatten sich Joschka Fischer, Jürgen Trittin und eventuell sogar – unglaublich! – Jutta Ditfurth zusammengeschlossen, um am Abend ihre politische Unterstützung einer Palastrevolution bei den Grünen bekanntzugeben. Mit der Folge einer sofortigen Kanzlerkandidatur des Erzrivalen Robert Habecks. Live bei Phoenix.
Ihre Mandelaugen verengten sich zu Schlitzen. In der Ferne bellte ein Hund. Sie griff zum Telefon.
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