Die Wahrheit: Land unter Laschet
Ist es sarkastisch, sich nicht über die entkleidete Betroffenheit der Politiker während der Flutkatastrophe zu empören?
L and unter! Und das in der schönen Eifel. Sieht man sich die Fernsehbilder an, die zum Beispiel im ARD-„Brennpunkt“ laufen, stellen sich gleich mehrere Fragen: Wird es wirklich um jede in Schlamm verpackte Inneneinrichtung schade sein? Geht da nicht auch der Geschmacksirrsinn des Kleinbürgertums unter? Man sieht Sofalandschaften und zerdepperte Wohnmobile auf Sperrmüllhügel getürmt, man sieht SUVs, die aller Panzerhaftigkeit zum Trotz keine Schlammlawine aushalten.
Was man leider nicht sieht: weinende Versicherungsagenten. Jubelnde Autoverkäufer. Stattdessen hört man von schweren Schicksalen, die, wenn der ganze Schlamassel vorbei ist, sich in die nächste digitale Flutwelle stürzen werden, um sich wieder über alles und jeden zu beschweren. Nach der Flutwelle kommt der Shitstorm. Sobald es wieder WLAN hat an der Milchkanne im Dorf.
Was man auch sieht, sind beflissene Reporter, die diese Schicksale, mit denen man ja wirklich nicht tauschen möchte, fernsehgerecht ausbeuten. Wenn es nicht um harte Schicksale geht, geht es um Solidarität, was bedeutet, dass sich die Nachbarschaft endlich hilft beim Schutt wegräumen. Lustig immerhin der Mann mit Schubkarre in einem T-Shirt, das sagte: „Ich bin zu alt für diese Scheiße.“
Gemein das alles, nicht? Ja, gemein. Gemein wie ein „Fuck You Greta“-Aufkleber, der im Nachhinein auf die Karosserie eines versunkenen SUVs gefotoshopt wird. So oder so, es gibt nur Verlierer in der Eifel, und die sitzen diesmal nicht einmal auf Motorrädern, die sonst bei Transplantationswetter über die regionalen Serpentinen knattern, damit deren Besitzer ihre Organe zur Verfügung stellen können.
Statt der getroffenen Landbevölkerung sollte man selbstverständlich lieber Politiker bashen. Wer da immer ein gutes Opfer abgibt, ist Armin Laschet. Das kann er, unser nächster Kanzler, der Landesvater des Landunterlandes, der ja auch beinah aus der Gegend ist. Und wenn er während einer dieser standesgemäßen Betroffenheitsreden des Bundespräsidenten, der die Kunst der Betroffenheit beherrscht wie kaum ein anderer, im Hintergrund mit seiner Crew Scherzchen macht, ist die Häme besonders groß. Dabei könnte man das auch als Entlastung verstehen. Entlastung durch Humor. Aber bei Betroffenheit versteht man eben keinen Spaß. Dass Laschets Lachen die vordergründige Betroffenheit als leere Geste entlarvt, geht leider nicht vielen auf. Oder ist das das wirklich Empörende?
Keine Rede ist dann mehr von den Menschen mit Behinderung, die in einem Heim in Sinzig ertrunken sind, weil es da nicht genügend Barrierefreiheit gegeben hat. Entweder aus Geld-, oder aus Versicherungsgründen.
Aber genug des Sarkasmus. Naive Gemüter wie ich dachten ja immer, dass Hochwasser und Flutkatastrophen eher Menschen treffen, die unten am Fluss in den Ebenen wohnen. Und nicht Leute in den Bergen. So lernt man immer wieder was dazu.
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