Die Wahrheit: Könige der Klamotte
Eine Komikschule der besonderen Art war in den siebziger Jahren die freitägliche Slapstick-Sendung im Zweiten Deutschen Fernsehen.
F ür viele Menschen sind die siebziger Jahre in der Retrospektive ein Jahrzehnt des bunten Halligallismus: Prilblumen und Schlaghosen, Lichtorgeln und Knabbermix mit Flips und Fischli. Daran kann ich mich auch dunkel erinnern. Aber eben sehr dunkel. Die sonnigen Siebziger hatten auch eine extrem schattige, düstere Seite.
So war das Aufwachsen in dieser Zeit humortechnisch eine große Herausforderung. Für den mal albernen, mal gestelzten Nach-68er-Quatsch von Otto und Insterburg & Co. konnte ich mich nicht begeistern, für die Pardon war ich zu klein, Loriot lief viel zu selten und Didi Hallervorden war selbst mir als Zehnjährigem zu blöd. Palim. Palim. Eine Flasche Pommes frites. Herr im Himmel!
Wenn es da nicht diese Schwarz-Weiß-Filmchen gegeben hätte. Jeden Freitag um halb sieben. Es gab eine ganz klare Hierarchie: Ganz oben standen Laurel & Hardy aka „Dick und Doof“. Sie waren die Könige. Die Götter. Über sie gab es unter uns kindlichen Connaisseuren keine Diskussion. Dick und Doof waren lustig. Punkt. Wir übten Stans Am-Kopf-Kratzen-und-dabei-das Unterkinn-Vorschieben, Ollies Am-Schlips-Nesteln, ihre ebenso komischen wie rührenden Tanzchoreografien.
Laurel & Hardy waren musikalisch, hatten eine perfekte Körperbeherrschung und vor allem: sie hatten ein punktgenaues Timing. Sie ließen die Gags oft ganz langsam und sachte kommen, um die Pointe dann im einzig richtigen Moment gnadenlos und blitzschnell zu exekutieren.
Auch Chaplin war komisch, aber nicht so komisch wie Stan und Ollie. In unserem „Väter der Klamotte“-Universum war Charlie vor allem Slapsticker. Seine eigentliche Mission, das Kombinieren von „physical comedy“, Melancholie und kitschig-sozialkritischem Storytelling spielte hier noch keine Rolle.
An den Freitagabenden liefen willkürlich zusammengetackerte Stummfilm-Schnipsel, die in der Regel von Hanns Dieter Hüsch gnadenlos zugelabert und durchgereimt wurden. Für die Feinheiten und Manierismen des chaplinesken Erzählens war da weder Platz, noch wäre ich damals dafür empfänglich gewesen. Auch die rüpelige Zärtlichkeit, die das Zusammenspiel Laurel & Hardys bestimmte – und die das Gegenteil dieser stuhldummen, leider von Deutschen erfundenen Marke „Dick und Doof“ war –, entdeckte ich erst später.
Nur Buster Keaton zerstörte meine unschuldige und heitere freitägliche Komikwelt immer wieder. Die Präzision seiner formalistischen Aktionen, seine geometrisch konstruierten Szenenbilder faszinierten mich zwar, brachten mich aber nie zum Lachen. Sein „Stoneface“ verstörte mich.
Das, was mir da entgegenblickte, war pure Hoffnungslosigkeit. Verzweiflung. Ungefähr auf dem Depressionsniveau von „Angst essen Seele auf“, das ich mir ein paar Jahre später mehrmals in der Schule anschauen musste. Und so zog mich Keaton immer wieder zurück in die düsteren Siebziger …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja