Die Wahrheit: Im Späti brennt noch ein Licht
Das Ordnungsamt hat das Ordnungsamt verlassen, seine Sheriffs patrouillieren durch den Berliner Wedding, denn Ordnung muss sein!
G roße Überraschung: Als ich neulich sonntagnachmittags nach Hause radelte, musste ich kurz vor unserem Haus ein in zweiter Reihe parkendes Auto überholen. Das war natürlich keine Überraschung. Das passiert andauernd. Das Besondere war: Bei dem Auto handelte es sich um einen Streifenwagen des Ordnungsamts. So etwas hatte ich hier im Berliner Wedding noch nie gesehen. Ich wusste gar nicht, dass das Ordnungsamt Streifenwagen hat. Ich wusste nicht mal, dass das Ordnungsamt sein Ordnungsamt auch mal verlässt. Wenn es das häufiger täte, würden vielleicht nicht dauernd Autos in der zweiten Reihe stehen.
Statt aber etwas Nützliches zu tun, zum Beispiel in der zweiten Reihe parkende Autos abzuschleppen oder gleich zu sprengen, spazierten die Ordnungsämtler aus dem „Trinky“-Spätkauf. Aber sie hatten nichts zum Trinken im „Trinky“ gekauft. Grimmig schloss der „Trinky“-Inhaber hinter den Ordnungsämtlern die Tür ab, da sie ihm gerade den Laden dichtgemacht hatten. Womöglich, weil Sonntagnachmittag war.
Nackte Angst erfasste mich. Sollte es so weit sein? Wollte das Ordnungsamt jetzt wirklich das Sonntagsverkaufsverbot für Spätkaufs auch hier durchsetzen? Diese idiotischste aller idiotischen Forderungen, mit der eine Gruselmischung aus Steinzeitgewerkschaftern, religiösen Fundamentalisten, menschenfeindlichen Linken und grünen Spießern uns rechtschaffene Spätkaufbürger zu terrorisieren trachtet? Dabei ist es so einfach: Spätkauf oder Barbarei!
Rasch fuhr ich weiter. Vielleicht gelänge es mir wenigstens noch, das „Sunny Days“, den Spätkauf bei uns im Haus, rechtzeitig zu warnen, auf dass es flugs die Rollläden herunterlasse, ehe die blauen Sheriffs auch bei ihm aufliefen. Als ich etwas außer Atem dort ankam, stellte ich verblüfft fest, dass die Rollläden bereits heruntergelassen waren.
Hinter mir fuhr die Ordnungsamtstreife rechts heran. Ich verzog mich, aber beobachtete die Szene. Die beiden Ämtler stiegen aus, gingen zum „Sunny Days“, blickten ungläubig auf die Rollläden, zuckten mit den Achseln und machten wieder kehrt. Puh.
Als ich am Abend noch mal wegfuhr, war alles wie immer. Der Laden war wieder auf, die Nachbarn deckten sich großzügig mit Bier, Chips, Zigaretten und Fischstäbchen ein. Ich ging rein, um mich kurz bei Toni, dem Besitzer, zu erkundigen, was los gewesen sei: „Woher wusstest du denn, dass die vom Ordnungsamt heute Nachmittag kontrollieren?“
Er grinste mich an: „Ach, weißte, Großer – ich sag mal: Networking, Teambuilding, gute Beziehungen, auch mal raus aus der Bubble, die eigene Komfortzone verlassen. Darauf kommt es nun mal an in der modernen Arbeitswelt. Das sind die Schlüssel zum erfolgreichen Social Marketing. Zum erfolgreichen Bierverkauf natürlich auch. Da muss man schon ein bisschen mit der Zeit gehen, verstehste?“
Ich nickte. Ich glaube, ich habe verstanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut