Die Wahrheit: Watschelnd auf der Überholspur
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (107): Anhänglich und mit eselähnlichem Paarungsruf – der Pinguin.
Der Meeresbiologe Klemens Pütz erforscht Antarktis-Pinguine. Dazu muss er sich anschleichen und zupacken, „ähnlich wie beim sogenannten Polizeigriff“. Er studiert sie mit einem selbst konstruierten Gestell, auf die er die gefangenen Pinguine schnallt und dann – wie auf einer Luftschaukel – kopfüber kippt, woraufhin die Tiere ihre Nahrung auskotzen. Anhand des Erbrochenen rekonstruiert der Forscher ihre Jagderfolge unter Wasser.
An Land watscheln Pinguine etwas unbeholfen, aber im Wasser können sie geradezu fliegen. Ein von Pütz mit Satellitensender ausgerüsteter Pinguin schwamm an einem Stück 24.000 Kilometer. Im von Pütz verfassten Buch „Unverfrorene Freunde. Mein Leben unter Pinguinen“ (2018) heißt es: „Für uns Forscher hängt der Erfolg einer Forschungsreise davon ab, welche Ergebnisse wir nach Hause bringen. Durch die Magenspülungen hatten wir gute Hinweise darauf, was Kaiserpinguine fressen.“
Pütz rüstet die Tiere auch mit „Fahrtenschreibern“ aus, die ihre Bewegung aufzeichnen, testet neue Geräte (zum Beispiel Magensonden), verfolgt die Routen einzelner Pinguine zu Hause in Bremervörde am Bildschirm und hat überdies eine Schutzorganisation für die Vögel gegründet: den „Antarctic Research Trust“, der bereits fünf kleine Brut-Inseln der Falklands gekauft hat, um sie als quasi „unberührte Natur“ zu erhalten, wobei eine jedoch erst einmal „renaturiert“ werden muss.
Der Tier- und Humanphysiologe Rudolf Bannasch erforschte ebenfalls Pinguine in der Antarktis und promovierte in der Sowjetunion mit „Experimentellen Untersuchungen und Modellierungen des Unterwasserfluges der Pinguine“. Dabei ging es ihm um Strömungswiderstände bei tauchenden Pinguinen. Inzwischen hat er zur Vermarktung seiner Ideen eine Polarbionik-Firma gegründet sowie ein „Bionik-Kompetenznetz“, über das es im Internet heißt: „Spindelförmige Strömungskörper nach dem Vorbild von Pinguinen setzen neue Maßstäbe der Aerodynamik. Im Wasserkanal erzielen solche Rotationskörper Widerstandsbeiwerte von 0,02 cw. Zum Vergleich: Bei Autos liegen die durchschnittliche cw-Werte zwischen 0,25 bis 0,5, beim U-Boote betragen sie etwa 0,1. Bei entsprechender aerodynamischer Anpassung − etwa bei einem Luftschiff − lässt sich eine Treibstoffersparnis von bis zu 30 Prozent erzielen.“ Um solche „Daten“ zu bekommen, müssen die Pinguine wahrscheinlich ebenfalls leiden.
In Rio zu Hause
Dort in der Nähe, in Feuerland, studierte auch die Reiseschriftstellerin Carmen Rohrbach Pinguine, sie beobachtete die Magellan-Pinguine aber nur aus der Entfernung, wie sie in „Patagonien: Von Horizont zu Horizont“ (2010) schreibt. Einer dieser Pinguine trieb bis zu einer kleinen Insel nahe Rio de Janeiro ab, wo der frühere Maurer João Pereira de Souza ihn hilflos mit ölverklebtem Gefieder fand. Er nahm den Pinguin mit nach Hause, wusch und fütterte ihn, gab ihm den Namen Dindim und brachte ihn zurück ans Meer. Dindim wollte jedoch bei seinem Retter bleiben – elf Monate lang. Erst nach der Mauser verschwand er und schwamm nach Hause, irgendwo bei Feuerland: 8.000 Kilometer entfernt. Wenige Monate später kam er zurück. Er sah de Souza am Strand und ging mit ihm nach Hause. Seither verbringt Dindim acht Monate im Jahr bei dem Rentner. „Er kommt immer im Juni und schwimmt im Februar wieder nach Hause. Und jedes Jahr wird er noch anhänglicher und es kommt mir so vor, als sei er auch immer glücklicher, mich zu sehen“, so de Souza in einer Fernsehsendung von Globo TV.
Anders ein Forschungsteam um die Biologin Juliana Vianna von der Päpstlichen Katholischen Universität in Chile: Es untersucht das Erbgut aller noch lebenden 18 Pinguinarten. Ob das Einfangen und die Entnahme von Gewebe- oder Blutproben schmerzlos für die Tiere war, ist nicht bekannt. Es ging den Wissenschaftlern darum, „den Pinguin-Stammbaum mit Reihenfolge, Zeitpunkten und Orten der Artenbildung zu rekonstruieren“. Dazu verwendeten sie „mehr als 23.000 einzelne Erbgutabschnitte“. Aus den Analysen zogen sie den Schluss, dass die Pinguine vor 22 Millionen Jahren zunächst Australien und Neuseeland besiedelten und dass die Klimaveränderung die Artenbildung vorantrieb. Großpinguine (Kaiser- und Königspinguine) besiedelten die Antarktis als erste, „andere Arten folgten später“.
Dort tauchen sie in eiskaltem Wasser nach Fischen, während andere Arten in sehr warmen Gegenden leben: auf den Galapagosinseln und am Horn von Afrika, wo sie sich, u. a. am Boulders Beach nahe Kapstadt, den Strand mit Badetouristen teilen. 1983 kam ein einziges Pärchen dorthin, heute sind es 2.500 Brillenpinguine. Die Einheimischen sind genervt, denn die Pinguine kommen zum Brüten bis in die Gärten und Garagen. „Sie graben mit den Füßen 30 bis 90 Zentimeter tiefe Höhlen und hinterlassen in den gepflegten Gartenanlagen Stätten der Verwüstung“, berichtete Die Welt. „Dazu kommt ihr ‚eselähnlicher Paarungsruf‘, der die direkten Anwohner von Boulders Beach in den Wahnsinn treibt.“
Hypothese nicht zu halten
Diese profitieren allerdings auch von ihnen bzw. vom Pinguin-Tourismus. Pinguine zieht es immer dorthin, wo sie geboren wurden, deswegen werden es immer mehr. Da Pinguine schon vor mehr als 55 Millionen Jahren die Antarktis besiedelten, hält der Paläornithologe vom Frankfurter Senckenberg Forschungsinstitut, Gerald Mayr, „die biogeografischen Aussagen zur Verbreitung von Pinguinen aus Neuseeland und Australien“ von Juliana Viannas Team für nicht überzeugend. „Die Hypothese vom Ursprung aller heute lebenden Pinguinarten ist nur schwer zu halten“, die Chilenen hätten Paläontologen an ihrer Studie beteiligen sollen, meinte Mayr gegenüber dem Tagesspiegel.
In einem Interview mit der Zeit vertrat Pinguinforscher Pütz die Evolutionsthese, dass vor 60 bis 70 Millionen Jahren eine Art Urpinguin, „Waimanus“ in Neuseeland lebte. Laut Pütz führen die flugunfähigen Vögel heute ein „modernes Familienleben“. 2001 heiratete er auf einer Falklandinsel inmitten einer Kolonie von Pinguinen.
Noch „moderner“ ist die homosexuelle Ehe unter Pinguinen. Im Aquarium von Sydney leben Sphen und Magic, die jährlich ein Ei ausbrüten und ein Junges großziehen. Auf „queer.de“ erzählte die Pflegerin Tish Hannan: „Sphen und Magic haben das sauberste und größte Nest in der Kolonie“, deswegen schiebe man ihnen gerne ein befruchtetes Ei unter. Ähnliches geschieht im Bremerhavener Zoo. Jedoch erst, nachdem die Zoodirektorin „Z“ und „Vielpunkt“ mit Weibchen in Versuchung gebracht hatte, „Normalos“ zu werden, und die geharnischten Proteste der Schwulenscene auszuufern drohten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker