Die Wahrheit: Mythen der Südstadt
Endlich haben die Kinos wieder auf. Aber der Film ist gar nicht das Wichtigste. Sondern der Weg zum Kino und der Weg zurück. All die Abschweifungen…
N atürlich ging ich sofort ins Kino! Ins Lichtspieltheater! Wie sehr mir das fehlte, nahm ich jeden Tag wahr, jeden Abend, aber die Sinne drumherum sind nochmal was andres. Der Weg hin und irgendwann zurück, öffentlicher Raum und so weiter. Streamingdienste sind okay, aber draußen unterwegs sein, ist das Ding. Existenziell wie der Besuch einer Kneipe, auch keine Überraschung bei einem älteren Mann aus Mitteleuropa mit sogenannten Luxusproblemen. Und es war egal, wie gut der Film wirkte.
Zuvor war ich aus meinem Kontor auf einen Sprung durch die Southside geradelt, um am Geibelplatz drei, vier Minuten Rumpel-Yoga zu üben, zu dehnen, beugen, strecken, in der Art. Mit dieser speziellen Gegend in der Südstadt, wie wir sie immer noch altertümlich nennen, hat es eine besondere Bewandtnis.
Zum einen liegt hier eines der ersten Wohnhochhäuser, ein neungeschossiger Klinkerbau von 1930 unter dem Namen „Glückauf“. Aber ich steige hier nicht in die Architekturgeschichte ein, sondern unversehens in die Popgeschichte, die wenige Meter entfernt einen ihrer Höhepunkte erklommen hat. Warum war mir dies seit zig Jahren nicht in den Sinn gerückt? Egal, hören wir mal rein: „Aber dann habe ich die Heike gesehen / und Heike wohnt in der Geibelstraße 10 / sie hat für mich zwar nicht die idealen Maße / aber dafür wohnt sie in der Geibelstraße“.
Die Band hieß Mythen in Tüten, gegründet 1979 in dieser kleinen Großstadt, und operierte mit dem Begriff Meta-Schlager. Damit wurden Mythen in Tüten zu einem der Vorreiter der kommerziellen NDW. Nun, als „Vorreiter“ gelten so oft so viele, da sollte sich niemand streiten und es ist ja auch egal. Die Bands, die verzweigt daraus folgten, sind echt eine Menge, da können Sie sich per Soundcloud oder Diensten erkundigen.
Doch nochmal zu dem Stück aus zwei Minuten und 21 Sekunden. Der Titel lautet „Südstadt-Spatz“, und ich drehe es auf: „Mit der Zeit wurde ich mit Heike etwas bekannter / und die Kommunikation wurde stetig redundanter / und dann zog sie zum Karl-Peters-Platz / mein kleiner süßer Südstadt-Spatz“. Hm. Zunächst: Ich fürchte, wir gelangen hier oder da noch in die untiefe Falle zwischen Meta-Schlager und lyrischem Ich. Obwohl, gibt es das überhaupt noch? Dieses lyrische Ich.
Und hier müssen wir bei unserer sommerlichen Zeitreise wieder auf den Platz zurückkommen. Der war einst dem Kolonialisten und Rassisten Karl Peters gewidmet, Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Erst Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der Name ausgiebig diskutiert und der Platz schließlich umbenannt nach der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner.
Und der Film im Kino? Man hatte versprochen, er sei eine Mischung aus „Herr der Fliegen“ und „Apokalypse Now“. Da hatten sie sich zu viel vorgenommen. Aber wie gesagt: egal. Der Weg ist das …
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