Die Wahrheit: Frühling wie früher
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich Leserschaft an einem Poem über verlorene Freuden der schönen Jahreszeit erfreuen.
Die Sonne grinst wie im August,
Die Kaffeekellner schwächeln.
Im Stadtpark brutzelt eine Brust,
Und ein paar Greise hecheln.
An kahlen Bäumen sprießt schon was,
Es riecht auf allen Wegen.
Das macht des Dichters Auge nass,
Uns schlägt es auf den Bregen.
Wir schlendern zu dem Flüsschen hin,
Das plätschert froher stündlich.
Und Häuser stehen auch darin,
Die putzt es schön und gründlich.
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
05158 (Profil gelöscht)
Gast
Frühling
Die Bäume im Ofen lodern.
Die Vögel locken am Grill.
Die Sonnenschirme vermodern.
Im übrigen ist es still.
Es stecken die Spargel aus Dosen
die zarten Köpfchen hervor.
Bunt ranken sich künstliche Rosen
in Faschingsgirlanden empor.
Ein Etwas, wie Glockenklingen,
den Oberkellner bewegt,
mir tausend Eier zu bringen,
von Osterstören gelegt.
Ein süßer Duft von Havanna
verweht in ringelnder Spur,
ich fühle an meiner Susanna
erwachende neue Natur.
Es lohnt sich manchmal, zu lieben,
was kommt, nicht ist oder war.
Ein Frühlingsgedicht, geschrieben
im kältesten Februar.
Ringelnatz, Joachim (1883-1934)