piwik no script img

Die WahrheitJunge schwarze Frauen

Hartmut El Kurdi
Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Alte weiße Männer wie Jürgen von der Lippe und Harald Martenstein halten die Stellung, denn es herrscht Männerdiskriminierung!​

E s ist amüsant, dass sich alte weiße Männer darüber aufregen, als „alte weiße Männer“ bezeichnet zu werden. Diese drei Worte beschreiben ja lediglich die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsgruppe, die – im Vergleich zu jungen schwarzen Frauen – viel Macht hat und überdurchschnittlich häufig bestimmte konservative Meinungen vertritt.

Im Moment beschäftigen sich die AWMs gern mit Menschen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer. Gerade las ich, dass „die Leute“ Greta jetzt „satt haben“. Weil sie nicht mehr „erzogen“ werden wollten. Es sei sowieso nur „Comedy“, wenn sich „so ein Mädel hinstellt und die Weltmächtigen anschreit“. Diese Zitate, die von einer tiefen Sympathie für gebildete und engagierte junge Menschen zeugen, stammen ausnahmsweise nicht vom studierten Lehrer Dieter Nuhr, sondern vom ehemaligen Lehramtsstudenten Hans Jürgen Dohrenkamp, besser bekannt als Jürgen von der Lippe, der gerade eine neue Fernsehshow bewerben muss. Auf PR-Tingel-Tour durch die Redaktionen macht man eben keine Gefangenen.

Deswegen geht der sympathische Fickwitz-Erzähler und Klobrillenbartträger mit dem nur semiparodistischen Duktus eines hartleibigen Lateinlehrers auch gleich richtig in die Vollen. Die Bezeichnung „alter weißer Mann“ stelle eine „dreifache Diskriminierung“ dar. Darunter macht man es in der Angry-White-Men-Branche nicht: Männerdiskriminierung!

Dazu fällt einem augenblicklich der kolumnistische Hohepriester des deutschen Bildungsbürgertums ein: Harald Martenstein. Martenstein war in der Zeit, aus der seine Frisur stammt, den späten siebziger Jahren, Mitglied in der dümmsten aller kommunistischen Parteien, der DKP. Offensichtlich glaubt er, dass die Erfahrungen in diesem stalinistischen Kegelverein ihn für immer gegen autoritäres Denken immunisiert haben. Mag sein. Was er aber mit Sicherheit als Souvenir aus seiner stalinistischen Politsekte mitgenommen hat, ist eine fette Paranoia. So behauptete er vor einiger Zeit einmal: „Frauen sitzen an vielen wichtigen Schaltstellen, ihre Meinung dominiert in den Medien.

Man schaue sich nur mal die Publikationen an, für die Martenstein schreibt: Zeit, Zeit Online und das Zeit-Magazin haben ebenso wie der Tagesspiegel männliche Chefredakteure. Und das ist keine zufällige skurrile Besonderheit der Medien, die Martenstein-Kolumnen veröffentlichen. Eine im Jahr 2016 publizierte Studie besagt, dass auf 95 Prozent der Chefredakteurssessel in Deutschland Männer sitzen. Warum die Martensteins und von der Lippes dieser Welt sich nun von fünf – oder vielleicht inzwischen sieben oder gar acht – Prozent Entscheiderinnen umstellt, dominiert und diskriminiert fühlen, würde mich schon mal interessieren.

Das Entscheidende an den „alten weißen Männern“ ist eben nicht das, was sie sind, sondern ihr Wille, dass alles so bleibt, wie es ist: In ihren alten faltigen Händen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Eine im Jahr 2016 publizierte Studie besagt, dass auf 95 Prozent der Chefredakteurssessel in Deutschland Männer sitzen."

    Mir geht diese Art der, sagen wir, "selektiven Argumentation" inzwischen schwer auf den Senkel. Medien sind nicht gleichbedeutend mit Zeitungen, und Zeitungen werden nicht allein von Chefredakteuren gemacht. Aber wir nehmen die Zahl, die uns in den Kram und ins Weltbild passt und lassen den Rest unter den Tisch fallen. Ca. 40 Prozent aller Redakteursstellen werden von Frauen besetzt. Und das wird sich in Zukunft weiter ändern, da bei den VolontärInnnen Frauen mit ca. zwei Dritteln die Mehrheit stellen.

    Beim ÖR-Rundfunk sieht das noch mal ganz anders aus. Und von Verlagslektoraten wollen wir gar nicht erst reden, denn da haben Frauen einen Anteil von 80-90%.

    Und ach ja: Es mag keine Frau für den Regie-Oscar nominiert sein (für die Beste Kamera, den besten Ton und die besten Spezialeffekte übrigens auch nicht). Insgesamt allerdings sind an die 70 Frauen für einen Oscar nominiert.

    • @ScreamQueen:

      Für taz-Neulinge: du kommentierst hier gerade die "Wahrheit"