Die Wahrheit: Zum Habicht werden
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (92): Offenbar finden vor allem Frauen Zugang zu den eigensinnigen „Raubvögeln“.
Mit „Raubvögeln“ sind Greifvögel und Eulen gemeint. So haben die Jäger diese Tiere genannt, weil sie meinten, ihnen gehöre alle jagdbare Beute. Die Raubvögel rauben den Jägern ihr Eigentum, weswegen sie abgeschossen werden müssen.
Auf den Abschuss eines Adlers stand bei den naturliebenden Nazis allerdings die Todesstrafe. Auch dem Raubtier Wolf konnten sie einiges abgewinnen. Aber die Nazis gingen nicht so weit, den einzelnen Tieren Personennamen zu geben. Das ist nun anders. Wölfe und Raubvögel sind jetzt für Frauen interessant: eine Herausforderung im direkten Umgang mit ihnen. Dazu müssen die Frauen zuvor eine Jagd- und eine Falknerprüfung bestehen.
Die englische Falknerin Helen Macdonald veröffentlichte 2015 ein sehr persönliches Buch mit dem Titel „H wie Habicht“, das von einem Habichtweibchen namens Mabel handelt, mit der sie vertraut werden wollte und dabei wunschgetrieben dahin kam, „ein Habicht zu werden“. Das ging nicht gut aus: „In meinem Unglück hatte ich den Habicht nur in einen Spiegel meiner selbst verwandelt … Irgendetwas lief schief. Sehr schief.“ Sie erinnert sich an den dänischen Anthropologen Rane Willerslev, der das sibirische Volk der Jukagiren erforschte. Dabei erfuhr er, dass „eine solche Verwandlung bei den jukagirischen Jägern als sehr gefährlich gilt, weil man dadurch den Kontakt zur ‚Identität der eigenen Spezies verlieren und eine unbemerkte Metamorphose durchlaufen‘ könne“.
Falknerei auf Burg Greifenstein
Einen Schritt weiter ging die 27-jährige Falknerin Sandra Jung, die es mit einem Dutzend Greifvögel auf einmal aufnahm. In ihrem Buch „Die Herrscher der Lüfte und Ich“ (2019) erzählt sie ihr „Leben mit Greifvögeln“, das sie mit 16 Jahren begann. Damals nahm ihre Freundin sie mit zu einer Falknerei im Nachbarort. Gleich darauf half sie dort schon füttern, Volieren säubern und ließ bei den Flugvorführungen vom Adler bis zum Falken alle Vögel auf ihrer ledergeschützten Faust landen, wo die Vögel sich ein „Leckerli“ abholten, nachdem sie vom Rundflug in großer Höhe vor vielen Zuschauern wieder zu den Falknern zurückgekommen waren.
Sandra Jung besaß schon bald eigene Greifvögel, die sie in Volieren im Garten ihrer Eltern hielt. Nach dem Abitur machte sie den Falknerschein und nahm mehrere Anläufe für ein Studium. Schließlich wagte sie es, zusammen mit einem befreundeten Falkner in Thüringen die unbesetzte Falknerei der Burg Greifenstein zu pachten, nachdem die beiden zuvor bereits mit Luftvorführungen ihrer Greifvögel und einer winzigen Eule ins Geschäftsleben eingetreten waren.
In ihrem Buch sind Fotos: Die Falknerin mit Andenadler, mit Weißkopfseeadler, Steppenadler, Weißgesichtseule, Schakalbussard, Wüstenbussard, Sakerfalke, Seeadler, Lannerfalke, Sibirischer Uhu. Inzwischen werden der Falknerin bereits alle möglichen verletzten oder verwaisten Junggreifvögel auf die Burg gebracht. Sie pflegt sie und versucht dann, sie „wieder in die Natur einzugliedern“. Mit ihrem Wüstenbussard Dexter geht sie gemeinsam auf Kaninchen- und Krähenjagd. Krähen sind in der EU als Singvögel eigentlich ganzjährig geschützt, aber vielleicht gilt das nicht für Thüringen oder die Greifvögel stehen außerhalb des Tierschutzgesetzes, weil sie nicht zum Vergnügen jagen. Dexter aber ja wohl doch.
Eulen verlangen Respekt
Die Tierfotografin und Falknerin Tanja Brandt hat bereits sieben Bücher über ihr Raubtier, den belgischen Malinois-Schäferhund Ingo, und ihre Raubvögel veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Eltern von Sandra Jung, die das Interesse ihrer Tochter an diesen Vögeln unterstützten, war die Hinwendung zu den Tieren bei Tanja Brandt eine Flucht vor den Eltern. Mit den Vögeln, deren „Selbstbewusstsein“ sie bewundert, begann sie. Besonders das Wüstenbussard-Weibchen Phönix hatte es ihr angetan. „Sie ist blitzschnell in ihren Reaktionen, stark und stolz, sie sieht alles und ahnt meine Handlungen voraus. Ich bewundere sie und nenne sie meinen Schlau-Bussard,“ heißt es in Brandts Buch „Die Eulenflüsterin“ (2019).
Neben Hund und Bussard gehören zu ihrer „Clique“ eine Weißgesichtseule namens Gandalf, das brütende Steinkauz-Pärchen Poldi und Finchen, die Schnee-Eule Uschi, der Raufußkauz Lenni, der Habichtskauz Rüdiger und die Schleiereule Luise-Lu. „Viele Menschen wünschen sich, respektiert zu werden. Eulen verlangen es. Sonst gehen sie keine Bindung ein“, schreibt sie. Alle Vögel zusammen, dazu ihr „bester Freund“, der Hund Ingo, bilden das Hauptmotiv für ihre vielfach mit Preisen bedachten Fotos, in ihren Büchern, in ihrem Blog und auf YouTube.
Ausübung von Macht
Den Bericht über das Zusammenleben mit dem Habichtweibchen Mabel hat die eingangs erwähnte Falknerin und Historikerin Helen Macdonald verbunden mit einer Reflexion über den Bericht der gescheiterten Habicht-Abrichtung des exzentrischen Schriftstellers T. H. White, der darüber 1936 ein Tagebuch veröffentlichte, das erst kürzlich auf Deutsch erschien: „Der Habicht“. Der im kolonialen Bombay geborene Autor durchlitt eine strenge Erziehung, die ihn für „englischen Sex“ (Spanking) empfänglich machte. Für den Umgang mit seinem Habicht orientierte er sich an einem Falknerbuch aus dem 16. Jahrhundert. Der Habicht flog jedoch nach einer langen Reihe von „Missverständnissen“ weg und kam nicht wieder.
Helen Macdonald schreibt: „‚Der Habicht‘ ist ein Buch über einen Mann und einen Greifvogel und ebenso eine Fabel über das Selbstsein und die Ausübung von Macht. Man kann es als Abhandlung zum Wesen der Freiheit, der Erziehung, der Macht, des Kriegs, der Geschichte, der Klassenzugehörigkeit, der Versklavung, der englischen Landschaft und der Irrungen und Wirrungen des menschlichen Herzens lesen …“
Interessanter als ein Filmstar
Das in Hoppegarten bei Berlin lebende Ehepaar Ralf und Manuela Grabo hält in ihrer ausgebauten Scheune und mehreren Volieren im Garten drei Greifvögel und einen Uhu, die sie für Dreharbeiten vermieten. Manuela Grabo hat als gelernte Tischlerin früher nie etwas mit Tieren zu tun gehabt, jetzt mag sie alle ihre Tiere, „mein Liebling aber ist der Uhu“.
Ralf Grabo traf auf einem Filmfestival einmal Ray Berwick, der die fliegenden Darsteller für den legendären Hitchcock-Film „Die Vögel“ trainiert hatte – und bat ihn sogleich um ein Autogramm: „Der ist für mich natürlich interessanter als irgend so ein Filmstar.“
Mit Greifvögeln darf man laut dem nun auch im Osten geltenden Bundestierschutzgesetz nur beschränkt kommerziell auftreten. Grabos Bussard trat in einem Stück des Choreografen Johann Kresnik auf: Er saß dabei auf dem ausgestreckten Arm einer schwangeren Schauspielerin. Obwohl der Bussard kaum Probleme mit der Rolle hatte, durfte er nicht mit auf ein Gastspiel der Volksbühne nach Belgrad reisen: „Die Behörden wollten es nicht genehmigen. Serbien gehöre nicht zur EU und so weiter.“
Überhaupt kommen die Behörden dem Ehepaar Grabo mit immer wieder neuen Restriktionen für ihre filmreifen Greifvögel und den Uhu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz