Die Wahrheit: Tröpfchen für Tröpfchen Herbst
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Und wieder darf sich die Leserschaft an einem Poem über die melancholische Jahreszeit erfreuen.
Der eine kommt, der andre geht,
so zieht das Leben seine Spur.
Der Sommer schwindet, und es steht
der Herbst schon rauchend rum im Flur.
Der eine rein, der andre raus,
das Leben ist ein Wechselstrom.
Der Sommer schleicht sich aus dem Haus,
der Herbst knarzt wie ein Karzinom.
Er zieht den Hut, grüßt wunderlich,
nimmt einen letzten Zug auf Lunge,
schnippst seine Kippe hinter sich,
tritt ein – und küsst dich vollrohr Zunge.
Der Herbst schmeckt feucht, wie alter Wind,
schnaubt seine Nase leer und lacht:
„Als Vorspiel, liebes Menschenkind,
hab ich dir hier was mitgebracht.
Ich schenke dir zum Herbstanfang
von Herzen eine Kleinigkeit
als Hilfe für den Übergang:
die zweieinhalbte Jahreszeit –
Husten, Schnupfen, Heiserkeit.“
Die Wahrheit auf taz.de
Leser*innenkommentare
05158 (Profil gelöscht)
Gast
Joachim Ringelnatz (Hans Gustav Bötticher) 1883-1934
Herbst
Eine trübe, kaltfeuchte Wagenspur:
Das ist die herbstliche Natur.
Sie hat geleuchtet, geduftet, und trug
Ihre Früchte. – Nun, ausgeglichen,
Hat sie vom Kämpfen und Wachsen genug. –
Scheint’s nicht, als wäre alles Betrug
Gewesen, was ihr entwichen?!
Das Händesinken in den Schoß,
das Zweifeln am eignen, an allem Groß,
Das Unbunte und Leise,
Das ist so schön, daß es wiederjung
Beginnen kann, wenn Erinnerung
Es nicht klein machte, sondern weise.
Ein Nebel blaut über das Blätterbraun,
Das zwischen den Bäumen den Boden bedeckt.
Wenn ihr euren Herbst entdeckt:
Dann seid darüber nicht traurig, ihr Fraun.