Die Wahrheit: Taxi zum Brexit
It’s definitely almost time to say goodbye: Wenn die Briten Blowjobs geben, bleibt nicht nur Europäern die Spucke weg.
Eine englische Freundin hat einmal einem Taxifahrer einen Blowjob gegeben in dem Glauben, dass sie so für die Taxifahrt nicht bezahlen müsse und Geld sparen könne. Der Taxifahrer war aber gar nicht einverstanden mit dem Plan. Als sie fertig war, verlangte er von ihr trotzdem zwanzig Euro. „Aber was ist mit dem BJ, den ich dir gerade gegeben habe?“, fragte sie. „Das war doch deine Idee gewesen“, antwortete er. „Ich habe dich einfach machen lassen.“
Und dann sitzt sie mit mir im Café und hält mir einen Vortrag über mein Verhalten fremden Männern gegenüber. „Ich würde mir wünschen, du würdest dich mehr schützen“, sagt sie nachdenklich. „Du gibs't Männern echt den falschen Eindruck manchmal. Ich denke, du wärst viel glücklicher im Leben, wenn du bei fremden Männern einen seriöseren Eindruck hinterlassen würdest.“
Ich nicke und erwähne nichts von dem Taxifahrer. So ungefähr, denke ich, muss es sich für einen EU-Europäer anfühlen, wenn Briten anfangen, Vorträge über die „undemokratische“ EU zu halten. Als Mitbritin ist das schon nervig genug! Aber wenn ich Alt-EU-Bürgerin wäre, ich würde es nicht aushalten. Und ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich eine Alt-EU-Bürgerin wäre, die in Großbritannien lebt. Ich bin, ehrlich gesagt, schon ein bisschen überrascht, dass die ganzen Polen, Deutschen und Portugiesen noch keine europäische Version des IS gegründet haben.
„Die EU ist aber ziemlich undemokratisch!“, sagt ein Straßenfeger zu mir, als ich bei einem London-Besuch die Mama zur Frisur bringen muss. „Niemand kann behaupten, dass die EU eine demokratische Institution ist“, flüstert mir eine ältere Dame an der Bushaltestelle zu. „Demokratie ist nicht gerade die Stärke der EU, oder?“, begrüßt uns der Busfahrer. Es ist wie im Musical, nur leider total scheiße.
God save the Queen
Ich nicke und sage gar nichts. Ich sage nicht, dass das Staatsoberhaupt dieses Landes, die Queen, nicht vom Volk oder wenigstens indirekt von den Volksvertretern, also Politikern, gewählt worden ist, sondern angeblich von Gott selbst, denn angeblich hatten irgendwann mal irgendwelche Vorfahren unserer Queen magische Spermien in ihren magischen Genitalien. Und wer braucht da schon Demokratie, wenn die Spermien magisch sind?
Ich erwähne auch nicht, dass kein einziger Mensch, der im zweiten Haus sitzt, dem House of Lords, also dem Oberhaus, demokratisch gewählt wurde. Ich erwähne auch nicht, dass neunzig dieser sogenannten Lords, die dort sitzen, nicht nur nicht gewählt wurden, sondern einfach die Nachfahren der Nachfahren der Nachfahren irgendwelcher magischer Spermienbesitzer sind.
Und, was echt das Schlimmste ist, finde ich, ist, dass viele von ihnen, das sind immer mindestens 26, demokratische Entscheidungen blockieren können, einfach, weil sie die Macht dazu haben, weil sie nämlich, o my lord, Repräsentanten der Kirche sind. In Großbritannien lernt man schon in der Grundschule, dass einer der tausend Gründe, stolz eine Britin oder ein Brite zu sein, die Tatsache ist, dass wir die älteste Demokratie der Welt sind. Was die Grundschulkinder aber nicht lernen, ist, dass die Briten nur dann demokratisch sind, wenn man sie mit dem Iran vergleicht. Eigentlich ist es eine Schande, das britische System. Auch ohne Boris Johnson, auch ohne Brexit, auch ohne die verordnete Zwangspause des Parlaments.
Demokrexit
Apropos Boris Johnson: ein Premierminister, der, wie demokratisch!, nur von 92.153 Briten – allesamt Tories – gewählt worden ist. Und jetzt hat er das Parlament suspendiert, um seinen No-Deal-Brexit durchziehen zu können. Wenn er damit durchkommt – und ich hoffe sehr, dass er damit nicht durchkommt –, werden die Briten zugeben müssen, dass ihre Demokratie nicht wirklich demokratisch ist.
Ja, die Brexiteers sind so heuchlerisch wie eine Freundin, die einem Taxifahrer einen bläst, ohne dafür das Taxigeld erlassen zu bekommen, und dann versucht, dir klarzumachen, dass du unseriös wirkst. Und vernünftiger sind sie auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs