Die Wahrheit: Kräuterhexe an Warze

Kaum hat der Mensch eine kleine Warze, entdeckt er Spiritualität und Spökenkiekerei. Allerdings helfen die dunklen Künste in anderen Lebenslagen.

Bislang erschöpfte sich meine Spiritualität in dem, was man halt spürt, wenn man zu viel getrunken hat, aber jetzt habe ich eine metaphysische Gabe an mir entdeckt. Denn seit Kurzem habe ich eine Warze. Und von der muss ich nur ganz normalen Menschen erzählen, schon lassen sie ihre Maske fallen und zeigen ihr wahres Ich als komplette Spinner.

„Du musst sie bei Vollmond besprechen“, empfahl mir etwa eine Kneipenbekanntschaft, und ich lachte kurz auf. „Nee, wirklich“, sagte sie, „besprich sie bei Vollmond. Funktioniert. In der Woche vorher täglich sagen: Warze alt, Warze kalt, Warze ab.“ – „Warze alt, Warze kalt, Warze ab?“ – „Ja. Funktioniert super.“ „Aber … aber das reimt sich nicht. Damit könnte man ja nicht mal beim Poetry Slam auftreten.“

Fassungslos erzählte ich einem Kumpel davon. Er schüttelte den Kopf: „Die spinnt. ‚Warze alt, Warze kalt, Warze ab‘, das funktioniert doch niemals, das ist nicht seriös. Mein Warzenbesprecher empfiehlt zu sagen: ‚Mein Immunsystem ist stark und bekämpft die Warzen erfolgreich und dauerhaft.‘ Einmal täglich nach dem Aufstehen. Hat nichts mit Vollmond zu tun.“ – „Sondern?“, fragte ich vorsichtig, „mit dem Luftdruck?“ – „Nee, das ist esoterischer Unsinn.“

„Nimm Thuja-Globuli“, riet eine Freundin, in die ich mal ein bisschen verliebt war. „Thuja-Globuli?“ – „Ja, aber vorsichtig, Thuja ist ein ziemlicher Hammer und kann tiefgreifende Wirkungen entfalten. Nicht mehr als zwei Gaben am Tag!“ – „Zwei Gaben Globuli, damit keine zu tiefgreifende Wirkung entfaltet wird?“ – „Exakt.“ Als sie aufs Klo ging, habe ich gegoogelt: Thuja-Globuli helfen auch „bei unangenehm riechenden Schweiß im Genitalbereich“. Aha. Wie gut, dass das damals nicht geklappt hatte mit uns.

Allmählich nervte die Warze, und so ging ich zu meiner Hausärztin, eine Frau von erfrischender Robustheit. Sie verschrieb mir etwas, um die Warze wegzuätzen: „Passen Sie auf, das Zeug ist scharf.“ Sehr gut, das sind Heilverfahren nach meinem Geschmack. „Alternativ“, sagte sie dann, „können sie natürlich auch eine Bananenschale drauflegen oder eine Schnecke drüber kriechen lassen.“ Ich sah sie entsetzt an. Sie murmelte rasch: „Oh, ’tschuldigung. Aber in letzter Zeit tauchen hier so viele Öko-Typen auf, die stehen auf so was. Hilft manchen sogar. Man muss nur bescheuert genug sein und an den Quatsch glauben. Mir ist es gleich. Ich kann’s trotzdem abrechnen.“

Bald darauf war die Warze verschwunden. Aber ich muss nicht traurig sein, ich habe eine neue Gabe an mir entdeckt. Als ich neulich auf einer Geburtstagsfeier war, geriet ich in ein Gespräch unter Eltern über die Masern-Impfpflicht. Und da geschah das spirituelle Wunder: Kaum habe ich den Impfgegnern in gebotener Deutlichkeit mitgeteilt, was ich von ihrer Meinung halte, sind sie umgehend mit einer Art Knall verschwunden. Warzen, das ist doch Killefitt. Ich kann Menschen besprechen!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.