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Die WahrheitDie hobelnde Klapperschlange

Bernd Gieseking
Kolumne
von Bernd Gieseking

Bei einer kleinen Operation untenrum kommen die Eigenheiten der Ostwestfalen ans Licht. Es muss ja nicht immer alles gleich erledigt werden.

S eit ein paar Tagen benutze ich zum ersten Mal seit ewigen Zeiten einen Waschlappen. Ich darf nicht duschen. Ich wurde an einer etwas schwierig zu erreichenden Stelle operiert – Hüfte rechts, fast hinten. Ohne Spiegel sehe ich die gar nicht, sie gehört aber eindeutig zu mir. Jedenfalls fehlt da nun ein Hautlappen von überraschender Größe, ich schätze: klopapierblattmäßig.

Im Spiegel sah das zuerst noch gewaltiger aus, circa DIN-A4-groß, bis die Frau Doktor der Assistentin sagte: „Zeigen Sie ihm das doch bitte nicht mit der Vergrößerungsseite des Spiegels, er bekommt ja schon Angst.“ Also, zwei Drittel Klopapierblattgröße, quasi Spielkartenformat. Mir sollte ein Ass von der Hüfte gehobelt werden.

Frau Doktor ist eigentlich sehr sympathisch und auch im Umgang eine angenehm rustikale Person. Sie behandelte mich und meine Hüfte etwa so, wie ich früher als Zimmermann den Balken, in den ich die Zapfenlöcher fürs Fachwerk stemmen musste. Für sie war ich ein Balken.

Ich hatte mich – so kannte ich das aus Westernfilmen – darauf eingestellt, vor dem Schnitt ein paar Schluck Whisky zu trinken und mir dann ein Holzstück zwischen die Kiefer zu klemmen, auf das ich beißen würde, während sie das Bowie-Messer aus den Lagerfeuerflammen holte. Stattdessen spritzte sie großflächig und vor allem mehrfach. Ich zuckte einige Male. „Ja, das muss ich jetzt noch ein paarmal machen.“ Ich fühlte mich, als würde eine Klapperschlange meine Hüfte perforieren. Da ich kein Holzstück zwischen den Zähnen hatte, unterhielten wir uns.

Sie stammt aus Südhessen und vermisst in Ostwestfalen so allerhand. Ich schwärmte ihr eins vor von Land und Leuten. Sie zog die Augenbrauen hoch: „Ich weiß, wie ihr seid!“ – „Was soll das denn heißen?“ – „Mein Mann kommt auch von hier. Wenn der sagt: ‚Ja, gleich!‘, dann frag ich ihn, ob er sein ‚gleich‘ oder mein ‚gleich‘ meint. Das ostwestfälische ‚gleich‘ kann nämlich schon mal ein Jahr dauern. Oder länger!“

Ich hielt das für kompletten Blödsinn, wollte das in meiner Lage aber nicht behaupten und erinnerte mich, wie ich der Meinen neulich, also vor drei Monaten, ihr neues Bild „ja, gleich“ an die Wand nageln wollte. Nun hat sie das am vergangenen Wochenende selber gemacht.

Ich fragte, als Frau Doktor kurz auf das Einsetzen der Wirkung ihrer Klapperschlangenbisse wartete: „Wenn Sie hier an mir schneiden, das wird aber keine Übertragung, weil Ihr Mann nicht in die Pötte kommt?“ – „Nee“, sagte sie, „keine Angst, ich mach das gleich.“ Irgendwie fand ich sie gerade nicht witzig.

Das ist nun drei Tage her. Seither wasche ich den ganzen Körper mit einem Waschlappen. Hab ich von meinen Eltern geliehen. „Den brauchst du nicht waschen, das mache ich“, hatte meine Mutter noch gesagt. So weit kommt’s noch! „Nee, den wasch ich gleich.“ – „Dann seh ich den ja nie wieder!“ Woher weiß meine Mutter das? Aber die kommt ja auch von hier!

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Bernd Gieseking
Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.
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