Die Wahrheit: Quanten im Kopf
Die Welt der Physik ist ganz märchenhaft, wenn man sich einmal durch die stachelbewehrte Dornenhecke des Verstehens gequält hat.
W as jetzt kommt, ist zunächst höchst verwirrend“, sagte die Sprecherin mit der schönen Stimme nach zwanzig Minuten. Und ich brach in hysterisches Gelächter aus. Denn schon bisher war eigentlich alles in diesem Film höchst verwirrend.
Welcher Teufel hatte mich nur geritten, mir ernsthaft eine Dokumentation mit dem Titel „Rätselhafte Welt der Quanten“ anzusehen. Als ich die Ankündigung in der Fernsehzeitung las, dachte ich erst an meinen Opa, Gott hab ihn selig, der stets zeterte: „So lange du deine Quanten unter meinem Tisch stellst, bestimme ich, was mit den Katzenbabys passiert!“ Dann aber wurde mir klar, dass die Sendung weder von Füßen noch von ertränkten Katzenbabys handeln würde, sondern von hochkomplexer Wissenschaft. Und ich dachte so bei mir: „Wenn selbst Albert Einstein in der großen Welt und sogar Herr Dahlmann in der achten Klasse Realschule so ein Zeugs kapiert haben, dann schaffe ich es auch.“
O, wie vermessen ich doch war! Aber auch höchst fasziniert: Als ich mich nämlich auf die wunderbare Welt der Quantenphysik einließ und akzeptierte, dass ich kein einziges Wort der gut gemeinten Erklärungen, die die Frau mit der schönen Stimme mir beizubringen versuchte, verstand, betrat ich ein zauberhaftes Reich, in dem beinahe alles möglich zu sein schien.
Die gestrenge Gouvernante „Physik“ mit ihren unumstößlich eisernen Gesetzen und ihren dicht an den Kopf geschmiedeten grauen Haaren erschien plötzlich im schillernden Gewand einer geheimnisvollen buntwallehaarigen Lady, die ein fremdsprachiges Lied mit unverständlichem Text, aber fesselnder und unvergesslicher Melodie sang, in deren Imperium sich Teilchen an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten und grazil herumtanzen können und die alte Mutter Schwerkraft zu ihrer eigenen Überraschung ins Gegenteil verkehrt wird.
Und dann ging es – soweit ich folgen konnte – noch um bestimmte seltsame Partikelchen, deren Verhalten in einem Versuchslabor sich danach richtet, ob sie sich beobachtet oder unbeobachtet fühlen. Diese schräge, aber märchenhafte Wissenschaftslektion war wie eine sehr wohl dosierte Mischung aus „The Big Bang Theory“ und „Alice hinter den Spiegeln“.
Ich war froh, am nächsten Tag keinen Schultest über die Thematik schreiben zu müssen. Doch dann plötzlich wusste ich, was diese Sendung mir sagen wollte und wofür ich demnächst demonstrierend auf die Straße gehen muss. Mit einem großen Schild und der Aufschrift: „Free Partikelchen! Keine Laborversuche mehr mit Quantenähnlichen!“ Und in der Unterzeile: „Ertränkt Opas! Lasst Katzenbabys leben.“
Das immerhin haben Einstein und Herr Dahlmann bei mir bewirkt. P. S.: Ich kann jetzt sogar die gesamte Relativitätstheorie komplett vorwärts und rückwärts auswendig aufsagen, obwohl die – glaub ich – gar nichts mit Quanten zu tun hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!