Die Wahrheit: Backenspalten und Lattenrennen
Eine ganz und gar merkwürdige Kombination zeigt sich derzeit im warmkalten Frühlingsfebruar. Ist der Klimawandel schuld?

Ich habe seit ein paar Tagen ein ganz komisches Gefühl. Es ist nämlich so: Ich gucke ja viel in die Gegend. Aber jetzt nicht einfach nur, um Zeit um die Ecke zu bringen, sondern beruflich, also mit dem geschärften Blick des gewerbetreibenden Beobachters. Was passiert um mich herum? Gibt es auffällige Veränderungen, die den Schluss zulassen, dass sich gesamtgesellschaftlich irgendetwas verschiebt oder sogar in Unordnung gerät? Und da kann ich nach ausdauerndem Observieren und Analysieren des Observierten folgendes Zwischenergebnis veröffentlichen: Ja, ja, doch, doch, allerdings. Es tut sich so einiges. Aber es ergibt nicht immer einen Sinn. Manches passt nicht zusammen.
Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Im Fernsehen zeigen sie jetzt ab und zu verhältnismäßig vollständig bekleidete Menschen, die von Skischanzen springen, um dann, nur kurze Zeit später, auf schmalen Latten über plattgewalzte Schneefelder zu rennen. Die Berichterstatter vom Fernsehen sagen, es handle sich um Wintersport, genauer: um die Nordische Kombination.
Andererseits kniete dieser Tage in der prallen Mittagssonne der Nachbar hier bei mir um die Ecke im Schweiße nicht nur seines Angesichtes – und übrigens in den selben kniekurzen Hosen, die ihm im vergangenen Extremsommer hinten schon immer so ungünstig heruntergerutscht sind, dass ich angesichts der offensiv präsentierten, fahrlässig blankgezogenen Backenspalte mehrfach fragen musste: „Ey, is schon wieder Weltspartag?“ –, kniete also der Nachbar in Demutshaltung neben seinem SUV und versuchte, ihm die Winterräder ab- und die Sommerräder aufzumontieren.
Die Sache ist nicht gut ausgegangen. Dem Nachbarn ist der Wagenheber abgerutscht und dann fiel der enträderte SUV volle Möhre auf die Fresse. Es war ein schlimmes Getöse, Gefluche und Geheule. Irgendwann kam dann der Autoarzt mit dem Kranwagen und hat den verzweifelten Mann zusammen mit seinem zusammengebrochenen Allradmonstrum entfernt. Verbracht? Überführt? SUVriedhof? Oder doch nur auf die Intensivstation? Ich weiß es nicht. Es interessiert mich auch eher weniger.
Indizienbeweis für Klimawandel
Für mich geht es vielmehr um die Beantwortung der Frage: Taugt die Gleichzeitigkeit von Nordischer Kombination im Fernsehen und Sommerreifenaufziehen in der Nachbarschaft am Ende des Monats Februar als Indizienbeweis für den Klimawandel? Gibt es also eine Beziehung zwischen diesen Ereignissen? Und wenn ja, handelt es sich a) um eine abhängige Beziehung oder ist sie b) nur vom Zufall beeinflusst?
Wie eingangs erwähnt: Ich habe zur Zeit so ein ganz komisches Gefühl. Manches passt nicht zusammen. Und wenn ich jetzt so nach draußen schaue, sehe ich sehr viele Menschen, die sich als Avocado, als Gemüsegurke und als Ananas verkleidet haben. Doch auch darüber will ich mir vorübergehende Gedanken machen. Bis Aschermittwoch ist ja noch etwas Zeit.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!