Die Wahrheit: „Beim Klabautermann, zum Kotzen!“
Jetzt redet die „Gorch Fock“. Über Korruption, die Verteidigungsministerin und Vorbilder eines stolzen Flaggschiffs. Eine überfällige Wutrede.
Da brat mir einer einen Hammerhai! Verfluchte Sprottenbrut! Vermaledeite Landratten! Was erlauben von der Leyen!? Wobei die Kombüsen-Ursula eigentlich noch nicht mal was dazu kann. Bis die informiert wird über die großen Zusammenhänge in der Bundeswehr, da haben wir den Mars besiedelt.
Aber für mich, das Flaggschiff der Marine, für mich, die „Gorch Fock“, ist es ganz bitter. Diese Meerjungfrau vom Maschsee kannte doch früher nur die Ausflugsdampfer auf ihrer Heimatpfütze. Die wurde meine oberste Dienstherrin! Für was ist die qualifiziert? Die reitet! Kavallerie? Haben wir gar nicht mehr. Hatte die Bundesrepublik noch nie! Die Bundeswehr hat keine Reitpferde, von denen hätte Frau von und zu wenigstens noch Ahnung. Nur ein paar Haflingern und Maultiere im „Einsatz- und Ausbildungszentrum für Tragtierwesen 230“. Außer ein paar Diensthunden hat diese Bundeswehr keinerlei „Truppenteile mit tierischen Kompanieangehörigen“.
Diese Leichtmatrosin von der Leine! Ein Fluss, der nicht mal schiffbar ist! Die hat jetzt zu bestimmen, was aus mir wird? Ich bin der schönste Windjammer der Bundesrepublik! Wobei ich Wind schon lange nicht mehr gesehen habe, aber jammern kann ich.
Ich weiß noch, Kiellegung 1958 und im gleichen Jahr fertiggestellt. Das muss sich dieser Staat mal auf der nicht vorhandenen Zunge zergehen lassen. Berliner Flughafen? Stuttgart 21? Ich bin Ende Februar ’58 auf Kiel gelegt worden, und schon im August – ja, im August des gleichen Jahres, Ihr Seegurken! – war Stapellauf. Paar Wochen später bin ich in Dienst gestellt worden. In zehn Monaten fertig! Davon träumt der Bundesrechnungshof!
Aber was war jetzt im August und Dezember? Ich bin 60 geworden. Dazu 60-jähriges Dienstjubiläum. Das schafft kein Panzer, kein Hubschrauber und keine Haubitze. Die sind dann längst eingeschmolzen. Oder im Museum, falls es sie überhaupt noch gibt! Ich könnte aber locker noch über die Meere schippern, wenn diese Schlammspringer in der Verwaltung nicht wären. Wie heißt es in meinem Shanty, dem Gorch-Fock-Lied? „Weiß ist das Schiff, dass wir lieben, / weiß seine Segel die sich bläh’n.“
Deckpolitur für Millionen
Liebe? Ich bin eine einzige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Im Märchen gibt es Esel, die Gold scheißen, in der Bundesrepublik haben die Werft und die Beschaffungsabteilung der Bundeswehr ja mich! Zwischen 2004 und 2013 war ich alle zwei Jahre im Dock, für fast 34 Millionen Euronen, 2012 sogar generalüberholt. 1958 hab ich nur ganze 8 Millionen D-Mark gekostet. Der Kostenvoranschlag für meine kleine aktuelle Deckpolitur liegt jetzt schon bei 135 Millionen Euro. Und da kommt ja wöchentlich was zu! Sind die noch ganz dicht? Wem willst du das noch vermitteln?
Das kriegen die nicht mal mehr unserer Hannoveraner Auster ins Perlmutt gejubelt. Hatten aber auch wirklich schon alle genug verdient. Und was ist der Dank? Nicht mal eine Jubiläumsfeier! Nicht einen Sekt! Ich wäre schon zufrieden gewesen, wenn ich nur ein Handbreit Wasser unter dem Kiel gehabt hätte. Nicht mal geregnet hatte es an dem Tag. Ich liege im Trockendock. An mich kommt nicht mal ein Regentropfen.
Geht man so mit einem prächtigen Schiff um? Ich bin doch keine olle Schaluppe. Kein mieser Stechkahn. So kannst du vielleicht eine Boje behandeln! Aber doch nicht mich! Über mich entscheiden Leute, die wissen noch nicht mal, was Backbord und Steuerbord ist. Deren einzige Qualifikation besteht darin, dass sie mal „Yellow Submarine“ von den Beatles gehört haben! Die sollte der Klabautermann über die Rahen jagen! Es ist zum Kotzen!
Ich möchte endlich wieder lossegeln um die Welt, Kap Horn umrunden, mit Delfinen, Schwertfischen, riesigen Makrelen und Blauhaien um die Wette schwimmen. Verdammte Gespensterkrabben! Was ist denn das für ein Ende? Dann doch lieber ehrenvoll sinken. Die „Titanic“. Das ist ein Ende für ein Schiff. Ja, natürlich, schade um Passagiere und Besatzung. Aber Wasser hat nun mal keine Balken.
Als ich ein junges Schiff war, was hatte ich für Träume! Vorbilder! Die „Beagle“! Darwins Schiff, eine Reise, die zur Evolutionstheorie führte. Bei meiner Bundeswehrverwaltung ist das Gegenteil von Evolution. Die sind kurz vor Amöbe. Ganz anders James Cook mit seiner „Endeavour“. Oder die „Bounty“. Was habe ich von Meuterei geträumt und dass wir in der Südsee geblieben wären. Die großen Schiffe der Weltliteratur, die „Ghost“ von Seewolf Wolf Larsen. Die „Pequod“ von Käpt’n Ahab. Aber Walfang ist inzwischen ja nicht mehr salonfähig. Die „Hispaniola“, von Robert Lewis Stevenson erdacht, auf der Jim Hawkins mit Long John Silver zur Schatzinsel segelt.
Da träumst du von als Schiff, dass du Literatur wirst oder Filmstoff. Aber das Einzige was mich mit „Ghost“ und „Bounty“ verbindet ist, dass ich Kommandanten hatte, die genauso streng waren wie Ahab, Käpt’n Bligh oder der Seewolf. Das einzig Künstlerische, das geblieben ist von all den Träumen, ist meine Bugfigur: ein Albatros – mittlerweile der sechste übrigens.
Albatros aus Kunststoff
Ich weiß auch nicht, wo der gerade liegt. Auch abgenommen. Fünfe sind schon kaputt oder über Bord gegangen. Die kriegen die Scheißdinger einfach nicht fest, diese Pinzettenfische und Schwielenwelse. Mein neuester Albatros ist nicht mal mehr aus Holz, sondern aus „kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff“. Waren alle ganz stolz, diese Riesenrohrwürmer. Verstehst du? Die haben so viel Verstand wie eine Rippenqualle. Meine Bugfigur ist jetzt Sondermüll!
Vorbei die Seemannsromantik. Ein Heldentod, das wär’s gewesen. Vor Kap Horn im Sturm zerschellt, am Weihnachtstag gestrandet wie die „Santa Maria“. Wie die „Endurance“ eingefroren und vom Eisdruck zermalmt! Wie die „Terror“ und die „Erebus“ mit John Franklin im ewigen Eis verschwinden. Ein Finale, eines Dreimasters würdig. Stattdessen liege ich in Bremerhaven und bin auseinander geschraubt. „Scheiß doch auf die Seemannsromantik / Ein Tritt dem Trottel, der das erfunden hat / Niemand ist gern allein mitten im Atlantik / Diesmal, mein Herz, diesmal fährst du mit.“ Singen diese Küstenbremer mit dem bannig passenden Namen Element of Crime.
Ich weiß gar nicht, was mein Kommandant gerade macht. Im Juni 2014 hat der das Kommando bekommen. Ist der jetzt mit meinem Beiboot unterwegs? Die ganze Mannschaft, ich meine, wir waren doch ein Team, wo sind die? Landurlaub, seit ich im Dock bin? Ich vermisse die. Rauf in die Wanten, Segel setzen, Segel einholen. Aber wie gesagt, nicht mal eine Geburtstagsfeier. Dabei ist die von der Leyen auch sechzig geworden. Wie ich. Wir zwei sind der gleiche Jahrgang. Na ja, vielleicht werden wir ja auch zeitgleich außer Dienst gestellt. Olle Fregatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja