piwik no script img

Die WahrheitEine Küchenradio-Epiphanie

Hartmut El Kurdi
Kolumne
von Hartmut El Kurdi

Ich könnte behaupten, eine Art Hippness-Avantgarde gewesen zu sein, meistens war ich jedoch nur anachronistisch, hinterher und uncool.​

S eit Jahrzehnten versuchen Menschen, mir zu vermitteln, ich müsse mich für meinen Musikgeschmack schämen. Aus ihrer Sicht zu Recht. Als man sich auf der Höhe der Zeit befand, wenn man Genesis und Pink Floyd hörte, stand ich auf Chuck Berry und Sixties-Beat. Ich interessierte mich für englischen Folk, als Punk angesagt war, der mir erst reizvoll erschien, als Techno in Mode kam. Und ich hörte Country, als man mit dieser Vorliebe noch kurz vor der Entmündigung und Einweisung stand. Ich könnte behaupten, eine Art Hippness-Avantgarde gewesen zu sein, meistens war ich jedoch nur anachronistisch, hinterher und uncool.

Mir leuchtete noch nie ein, warum irgendein angesagtes Indie-Noise-Geschrammel hörenswerter sein sollte als ein eingängiger Popsong. Oder andersrum. Manchmal aber mache ich mir selbst Angst. Ich erinnere mich an einen Morgen im Sommer 1982. Ich wollte gerade zur Schule zu gehen, da tönte aus unserem Küchenradio eine Lied, das mich augenblicklich mesmerisierte. Wie von Geisterhand wurde ich zurück vors Radio gezogen. Wow! Was war das?

Musikalisch konnte ich es nicht einordnen: Ein bisschen Elektronik-Gedudel, ein schleppender Discobeat, orientalische Anmutungen, jemand sang einen deutschen Text, den ich nur halb verstand, irgendwas mit „Neutronen“. Der Song hatte etwas Schwebendes, Zwischenweltliches. Gegen Ende überlagerten sich Sitar-, Tabla- und Flötenklänge im ausfransenden Musik-Nirwana …

In meiner Erinnerung dauerte das Ganze zehn Minuten. Ich war tief berührt und ging wie in Trance in die Schule. Niemandem, dem ich davon erzählte, fiel etwas dazu ein. So sehr ich mich auch bemühte: Ich konnte nicht herausfinden, von wem der Song war. Ich hörte ihn nie wieder. Er blieb ein Phantom. Ein Schatten.

Bis ich vor einigen Jahren in einer MDR-Ostalgie-Sendung zufällig einen Auftritt der inzwischen enorm angedickten DDR-Rockband Karat sah. Dazu muss ich sagen, dass es durchaus DDR-Bands gab, die mich interessierten: Pankow zum Beispiel oder die Bluesband Engerling. Aber immer wenn mir der Ost-Mainstream-Rock begegnet war, mit seiner schwurbeligen, bemühten Gymnasiasten-Lyrik hatte ich aus guten Gründen weggehört. Und nun spielten die alten Männer von Karat plötzlich „unser Lied“. Das Lied, das mich als 17-Jährigen einmal für zehn Minuten – tatsächlich waren es nur 5:25 – verzaubert hatte. Es hieß „Der blaue Planet“, und ich erkannte es sofort wieder.

Leider musste ich nun feststellen, dass es sich dabei um ein typisches Karat-Lied handelte. Verstörenderweise konnte ich trotzdem meine damalige Faszination verstehen. Ein Lied direkt aus der Ostrockhölle, und doch hatte es etwas. Immer noch. Und deswegen muss ich hier, mit Stolz, Scham und leichtem Würgen gestehen: Karat hat mein Herz berührt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ach, der blaue Planet. Meine erste selbst gekaufte Musikkassette. Soweit ich mich erinnern kann, gab es ca. 1982 jede Menge Antiatomkriegslieder und da ist der blaue Planet doch nicht das schlechteste.

    • @mecki:

      Klar - Mit sieben Krücken mußt du gehn. Normal.

      unterm——btw - DäDäRä—



      Daß die alle durch die Bank was drauf hatten. Keine Frage - wa. Immer gern.;)



      Nu. Ohne Schein lief da doch praktisch jernüscht - kerr. ~~ ('ZK Komitee' z.B.;)



      de.wikipedia.org/wiki/Karat_(Band)



      & ooch wieder wahr —-jit schlimmeres:



      “Epiphanias bzw. Epiphanie ist der ursprüngliche und heute noch in der evangelischen Kirche gebräuchliche Name eines am 6. Januar begangenen Festes im Christentum; in der aktuellen Ausgabe der Perikopenordnung wird es als „Fest der Erscheinung des Herrn: Epiphanias“ bezeichnet. Wikipedia

      No! Kasseläner Kasselaner - Kassler.



      Däh! Paschd scho!;))

  • Schonn.

    Aber bei Karat - isses ja wie bei Wernersen - "Öh...... Wir ham auch Birne."



    "Wieviel Karat hott die donn*?*"

    kurz - Stimmt schon. Hans Eichel-town - echt hartes Pflaster.



    Aber eisern & mit der Ausstrahlung einer Büroklammer.



    Ach herm.