Die Wahrheit: Killer im Blaumann
Viele Berufe sind bereits verschwunden, einige werden bald aussterben, einen aber wird es noch in tausend Jahren geben – den Kammerjäger.
N eulich die Geigenlehrerin der Tochter begrüßt. Gerade als sie das edle Instrument aus seinem Futteral holte, huschte über die blütenweiße Tischdecke ein sichtlich verstörter Silberfisch – von der plötzlichen Helligkeit allerdings nicht ansatzweise so verschreckt wie die Geigenlehrerin durch seine Anwesenheit. Das war der Moment, in dem ich es endgültig satthatte. Und den Kammerjäger bestellte.
Böttcher, Wagner oder Scherenschleifer wird man heute auf dem Arbeitsmarkt so schwerlich finden wie in wenigen Jahren Briefträger, Flugbegleiter oder Zeitungsreporter. Kommt ja derzeit die Digitalisierung über die Berufe wie seinerzeit der Komet über die Dinosaurier. Kammerjäger aber gibt es noch, sie heißen nur „Hygiene UG“ oder „Kill ’em all GmbH“. Was kreucht und fleucht, das widersetzt sich naturgemäß der Ausrottung.
Der junge Mann wirkte so gar nicht wie ein „Ghostbuster“, eher wie ein routinierter Auftragskiller im Blaumann, mit einem silbernen Köfferchen voller Massenvernichtungswaffen. Weidmannsheil! Während er leutselig ein farb- und geruchloses Gel an strategischen Stellen verteilte, fragte ich ihn nach seinem Beruf aus: „Was wäre denn der Endgegner? Die Kakerlake, oder?“
Die ordinäre Schabe, lernte ich, sei maßlos überschätzt. Nicht einmal einen läppischen Atomkrieg würde sie überleben und verschwände vom Angesicht der Erde. Die wäre dann übrigens von Katzen bevölkert. „Noch tun sie ganz harmlos, aber wenn’s knallt … dann übernehmen sie den Laden hier“, erklärte der Meuchler.
Der eigentliche Endgegner für den Schädlingsbekämpfer sei die Bettwanze. Da nütze es nichts, die befallene Matratze zu verbrennen. Vielmehr müsse der betroffene Raum komplett isoliert und mit speziellen Geräten über mehrere Stunden auf eine Temperatur von über 50 Grad erhitzt werden: „Da gerinnt dann das Eiweiß, das macht sie fertig!“
Der Silberfisch hingegen sei nicht einmal ein Schädling im orthodoxen Sinne. Nur ein „Lästling“, weil es rein ästhetisch lästig ist, wenn er in irrsinnigem Tempo auf der Suche nach Hautschuppen und ähnlich mikroskopischem Müll durch die Wohnung patrouilliert. „Aber der tut nix“, versicherte er und setzte vergnügt einen weiteren Tropfen tödlicher Farblosigkeit ins Badezimmer.
Dann ließ er die Verschlüsse seines Köfferchens zuschnappen und sagte: „Die Krätze erlebt gerade ein Comeback. Wegen der Flüchtlinge. Die schleppen irgendwelche syrischen Milben ein und – zack! – juckt’s überall.“ Meine Frage, ob er gegen diese Milben den Einsatz von Chlorgas oder Fassbomben befürworten würde, ließ er unbeantwortet. „Achten Sie lieber auf die Achtbeinigen“, salbaderte er zum Abschied: „Im Schlaf verschluckt jeder Mensch bis zu 50 Spinnen im Jahr!“
Es geht eben nichts über einen Experten im Haus. Kaum war er weg, schrubbte ich das Gift für die Silberfischchen aus den Ecken. Soll sich die Geigenlehrerin mal nicht so haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin