Die Wahrheit: Die Schlimme-Stimmen-App
Ein Traum wird wahr: Mit anders gefärbter Stimme anrufen oder sich anrufen lassen. Endlich kann man jemanden das Fürchten lehren!
S eit ich die App installiert habe, mit der erwachsene Anrufer auf meinem Handy wie niedliche Kinder klingen, bin ich viel entspannter. Es ist zwar zu Anfang etwas befremdlich, putzige Kleinmädchenstimmen „Boah, was war ich gestern besoffen!“ oder „Dieses Schwein hat eine narzisstische Persönlichkeitsstörung“ sagen zu hören oder worüber meine lieben Freundinnen so reden wollen, aber man gewöhnt sich dran. Die App kann natürlich auch meine eigene Stimme modulieren, und so habe ich neulich eine Sprechstundenhilfe das Fürchten gelernt, als ich nach stundenlangem In-der-Leitung-Hängen auf das Darth-Vader-Icon klickte und „ich brauche dringend ein neues Rezept für Aerosol!“ in den Hörer keuchte.
Wahrscheinlich wirkt in solchen Situationen das gleiche Phänomen wie bei dem alten Trick, den Paartherapeuten immer für Beziehungsstreite empfehlen: Einer der beiden Partner bräuchte sich nur eine rote Nase aufzusetzen, und schon könnten die verbalen Kämpfe nicht mehr ins Bodenlose abgleiten. Alles nur wegen der albernen Ablenkung. Ich selbst habe das mit der roten Nase allerdings noch nie probiert, weil ich Coulrophobikerin bin und demzufolge ein Problem mit Clown-Accessoires habe, auch den rudimentärsten. An schlechten Tagen habe ich sogar Angst vor meinen eigenen Schuhen, aufgrund der Größe.
Neulich habe ich das Kinderstimmen-Icon für meine Stimme aktiviert, bei einem Tätowierstudio angerufen und gefragt: „Machen Sie auch Einhörner?“ Der Piker legte wutschnaubend auf, aber ich finde, dass das wirklich eine Marktlücke ist. Also die Stimmmodulator-Pranks natürlich, nicht das Kindertätowierstudio, Gott bewahre. Man kann ja heutzutage schon froh sein, dass Menschen zumindest achtzehn Jahre lang ohne Tätowierungen leben müssen, danach ist bekanntlich noch mehr als genug Zeit, sich komplett zuzupiken.
Wenn es nach mir ginge, sollte man das Tätowiereinstiegsalter eh auf fünfzig heraufsetzen, und als Erstes müssten Männer sich dann eine Linie entlang ihres Haaransatzes tätowieren. Und wenn wir schon mal dabei sind, das Alter für den legitimen Besitz von Handys und Armbanduhren sollte man auch hinaufsetzen. Ich vermisse dermaßen, von netten kleinen Kindern gefragt zu werden, wie spät es ist oder wo irgendwelche Straßen sind. Heutzutage fragt einen ja niemand mehr etwas.
Außer diese onkeligen Weinversandhändlern, die ihre Newsletter mit leutseligen Fragen wie „Frau Zylka, woran erkennt man die besonderen Momente im Leben?“ überschreiben und dann von „ausgesuchten Weinen“ und „wunderbaren Menschen“ salbadern. Bei denen rufe ich demnächst mal den Bestelldienst an, stelle die App vorher auf „Moczigemba und Wodgurka“ und quatsche sie so lange mit oberschlesischen Schnurren voll, bis sie aus Verzweiflung all die „ausgesuchten Weine“ ausgetrunken haben, ganz ohne „wunderbare Menschen“ in „besonderen Momenten“. Ob mechste glauben oder nich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!