Die Wahrheit: Der Substanzielle
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. In unserer beliebten Reihe wird diesmal der FDP-Vorsitzende Christian „Hui“ Lindner gewürdigt.
Wenn es auf dieser sonst eigentlich recht gut möblierten Welt etwas gibt, was Christian Lindner zornrot anschwellen lässt, dann sind es Klugschwätzer. Das einzige andere, was ihm tassengroße Pickel machen kann, sind Angeber. Leute, die betont lässig ihre teure, überlebensgroße Armbanduhr am offenen Handgelenk präsentieren, eine goldene Zigarre zwischen den Lippen spazieren führen und einen aufgedonnerten Porsche aus den guten alten Achtzigern kutschieren, der so werbewirksam schön ist wie sie selber.
Lindner weiß, dass sich hinter der leuchtenden Fassade, die die Blender verbreiten, die nackte Luft befindet. Schon gar nicht leiden kann er deshalb die Hallodris, die mit vollem Mund Leistung und Verantwortung einfordern, aber sich scheuen, selber Hand anzulegen. Die kneifen, ihren Schwanz einziehen und sich auf allen Vieren aus dem Staub machen, statt einen verantwortungsvollen Posten in einer nordrhein-westfälischen Landesregierung anzunehmen oder sogar Finanzminister einer Bundesregierung zu werden, wo sie sich auf den Hosenboden setzen, die Arbeit machen und quer durch den Kalender 365 Tage lang etwas leisten müssten.
Am schlimmsten: Politiker, die alles auf einem Haufen sind. Schaumschläger, Maulhelden, Schnösel, Windbeutel, Drückeberger – durch die Bank Knalltüten, die die hart ringende Bevölkerung für dumm und dämlich verkaufen und an der Nase herumführen!
Solche Leute können Christian Lindner von der Pike auf gestohlen bleiben. Das war schon so, als er zwischen 1997 und 2004 in der Werbebranche tätig war! Und es blieb so in der Politik. „Die Fleißigen belohnen, nicht die Findigen“, lautet sein gut gebautes Lebensmotto. So fand er schon mit 14 den Weg zu den Jungliberalen, hängte sich bereits mit 16 bei der erwachsenen FDP ein und konnte mit 20 sein erstes Mandat im NRW-eigenen Landtag einstreichen.
Selbstverliebtheit? I wo!
Das war im Jahr 2000, als Nordrhein-Westfalens Freie Demokratische Produkte von Jürgen W. Möllemann dirigiert wurden und sein bester Schüler sich Christian W. Lindner nannte – nicht aus Gründen der Selbstvermarktung, sondern weil sein zufälliger Zweitname ein schöner Wolfgang ist. Bei allem, was ein Lindner macht, steht nicht der Schauwert im Vordergrund und die Selbstverliebtheit dahinter. Das mag bei Sprücheklopfern, Renommisten, Narzissten und Karrieristen so sein, bei Lindner sind es die Inhalte. Deshalb legte er, als Möllemann buchstäblich am Boden zerstört und sein Name verpfiffen war, das W. ab, denn den Inhalt gab’s nicht mehr.
Christian Lindners wirklicher Zweitname ist: Substanz. Also beschloss er – noch stand er mit einem halben Bein in der Reklamewelt –, fortan ausschließlich dort tätig zu sein, wo Leistung und Verantwortung an erster Stelle stehen und etwas geschafft wird: in der Politik.
In der Politik geht es darum, die Gegenwart herzurichten und die Zukunft anzubohren; das konstruktiv und produktiv zu tun, ist haarfein das, wozu ein praktisch Veranlagter wie Lindner seit 1979 auf der Welt ist. Andere Politiker wollen mit geiler Performance und hippem Lifestyle von ihrer inneren Null ablenken. Ihm aber sind Äußerlichkeiten bis aufs Hemd verhasst, wenn er die Rednerbühne entert oder Journalisten zur Homestory einlädt. Er ist aus geradem Holz gewachsen, und so wenig er einst in der Reklamebranche seine Kunden rasierte, lässt er die Bürger über seine wahren Ziele im Unklaren.
Parolen gestylt? Niemals!
Deshalb denkt und handelt er konkret bis auf den Zentimeter genau, und als Redner navigiert er nie im verführerisch Ungefähren, sondern bleibt bis hinters Komma gründlich und exakt, hat eine natürliche Abscheu vor den bloß attraktiv gedrechselten Schlagworten und verlockend gestylten Parolen der Bauernfänger und Falschspieler. Er hört gar nicht hin, wenn diese Schelme berückend an „die Vernunft“ appellieren, betörend von „Leistungsbereitschaft“ sprechen, berauschend über „Verantwortung“ referieren, überwältigend von den „Chancen der Digitalisierung“ schwärmen und endlich von „mehr Chancen durch mehr Freiheit“ fantasieren – er, Lindner, lässt sich nicht mit glitzernden Slogans zum Narren halten.
Da er ein kluges Köpfchen ist, weiß er, dass die Vernunft in der Wirklichkeit zum Sachzwang schrumpelt, der in der Anpassung lebender Menschen an die kapitalistischen Verwurstungsroutinen besteht und das Gegenteil von Verstand ist. Klar blickt er durch den Nebel, den die ständig wiedergekäuten Phrasen verbreiten: Sie zielen darauf ab, jedes Individuum in den ewigen Darwin gegen seine unschuldigen Mitbürger zu treiben.
Nicht mit Lindner! Er redet nicht von Leistung, Verantwortung und so weiter, sondern praktiziert sie einfach. Ein Beispiel: Jeder, der beim Bäcker Brötchen kaufen will, weiß, dass es sich um einen hochqualifizierten Experten handelt, wenn Christian Lindner in der Schlange vor ihm steht und ein Brötchen kauft. Jawohl: Lindner leistet sich im vollen Bewusstsein seiner Verantwortung ein Brötchen, denn er ist keine jener Flitzpiepen, die, statt fleißig zu klotzen, immer eine Ausrede finden, um sich vor Leistung und Verantwortung zu drücken! Er ist nur er selbst: Christian Wolfgang Lindner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern