Die Wahrheit: Willkommen im Kanther-Knast
Darf eine Justizvollzugsanstalt nach dem ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther benannt werden?
Der Bau der bislang größten deutschen Justizvollzugsanstalt in Rüsselsheim steht kurz vor seiner Vollendung: Fleißige Bauarbeiter ziehen die letzten Schrauben an, ein Schneidermeister aus Mörfelden-Walldorf prüft die Drillichanzüge, die den rund 15.000 Häftlingen angelegt werden sollen, und in der Großküche werden die ersten Erbsen ausgepult. Doch nun gibt es Ärger: Viele Bürger nehmen Anstoß daran, dass die JVA nach dem ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther benannt werden soll.
„Ich verstehe die ganze Aufregung nicht“, sagt Henning Schober vom hessischen CDU-Ortsverband Nidderau, auf dessen Initiative die Namenswahl zurückgeht. „Manfred Kanther hat sich um die Bundesrepublik verdient gemacht. Wenn es in Deutschland einen Franz-Josef-Strauß-Flughafen gibt und achtundzwanzig Willy-Brandt-Plätze, wieso dann nicht auch ein Manfred-Kanther-Gefängnis? Nur weil Herr Kanther einmal selbst vor dem Kadi gestanden hat?“
Schober spielt damit auf die berüchtigte Affäre an, in deren Verlauf Kanther illegale Parteispenden in zweistelliger Millionenhöhe fälschlich als „jüdische Vermächtnisse“ deklariert und auf schwarze Konten geschleust hatte. Dafür musste er sich später vor Gericht verantworten, was ihn sichtlich überraschte. Bis dahin war er stets als Law-and-Order-Mann in Erscheinung getreten und hatte sich auch selbst so verstanden. Das Landgericht Wiesbaden brummte ihm 2007 wegen Untreue eine Geldstrafe in Höhe von 54.000 Euro auf.
Als Krimineller wäre Kanther daher gar nicht einmal der schlechteste Namensgeber für einen Knast. Weite Kreise der Bevölkerung fassen die Namenswahl jedoch als unzulässige Rehabilitation eines Betrügers auf, der besser daran täte, sich irgendwo im Stillen für seine gezinkten Rechenschaftsberichte zu schämen. Hinter vorgehaltener Hand fallen auch härtere Ausdrücke: „Schurke“, „Haderlump“, „Ganove“, „Galgenvogel“.
Baustellenbesetzung gegen den Namen
Für den Fall, dass die JVA tatsächlich auf den Namen des Verbrechers Kanther getauft werden sollte, hat eine Frankfurter Bürgerinitiative inzwischen ein „Go-in“ angekündigt, also eine Baustellenbesetzung. Aber auch von rechts droht Gewalt: Die Biker der neugegründeten Wehrsportgruppe „Kanther’s Legacy“ aus Marburg an der Lahn planen eine Sternfahrt zum Brandenburger Tor und wollen sich dort selbst verbrennen, wenn es in Rüsselsheim kein „Manfred-Kanther-Gefängnis“ geben sollte. Nach Ermittlungen des Bundeskriminalamts setzen sich ihre Mitglieder hauptsächlich aus Angehörigen der schlagenden Burschenschaften Alemannia, Rheinfranken, Nibelungia und Hasso-Borussia zusammen.
Von Kanther selbst liegt keine Stellungnahme vor. Insider glauben, dass er aus der Parteispitze der CDU den Tipp bekommen habe, sich bis auf weiteres in Schweigen zu hüllen. Andere wollen wissen, dass Kanther ohnehin ein zurückgezogenes Leben in Wiesbaden-Heßloch führe, weil er seit Jahren vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet werde. Die Diskussion über das neue „Manfred-Kanther-Gefängnis“ sei dem altgedienten christdemokratischen Hardliner wahrscheinlich „höchst unangenehm“, mutmaßt der Sozialarbeiter Hans-Karsten Büter aus Berlin, der als Bewährungshelfer schon sehr vielen „schweren Jungs“ den Weg zurück ins Leben geebnet hat. „Ich schätze mal, dass er es gar nicht liebt, wenn man seinen Namen mit schwedischen Gardinen assoziiert. Wer ordentlich Dreck am Stecken hat, der geht unter solchen Umständen erfahrungsgemäß lieber auf Tauchstation …“
Das falsche Signal
Aus kriminologischer Sicht wäre es nach Auffassung des Duisburger Polizeipsychologen Detlef Spickert jetzt „das falsche Signal“, der JVA den Namen von Manfred Kanther zu verleihen. „Sonst kommen morgen tausend Steuerhinterzieher an und verlangen das gleiche Recht für sich! Meiner Meinung nach würde es vollauf genügen, irgendeine neuentdeckte Stoffwechselstörung nach Herrn Kanther zu benennen. Falls er wirklich Wert darauf legt, seinen Namen ins Gedächtnis der Menschheit einzubrennen.“
Am kommenden Mittwoch wird der Hessische Landtag über den Fall debattieren. Es liegen bereits 98 Wortmeldungen vor – ein Rekord, der in der deutschen Parlamentsgeschichte einmalig dasteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste