Die Wahrheit: Mozart der Milch
Die Woche der verschwundenen Politiker (4): Josef Ertl bezwang nicht nur den Butterberg, er war auch Träger massiver Eichenholzbrillen.
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In Heft 47/2000 rief ihm der Spiegel nach: „Er war, Rarität in der Politik, ein Original, ein urbayerisches dazu, gewichtig in jeder Hinsicht und gewitzt, wenn es drauf ankam.“
Josef Ertl, Bauernsohn aus Oberbayern, Sturzkampfbomberpilot, NSDAP-Mitglied und nach 1945 daher folgerichtig FDP-Mann, Skifahrer und Mitglied der Studentenverbindung A. V. Agraria, bekleidete das wohl sauberste, gepflegteste politische Amt hierzulande, jenes des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, von 1969 bis 1983. Ein für alle Zeiten uneinholbarer Weltrekord.
Und Ertl füllte dieses Amt aus wie niemand vor und niemand nach ihm. Er sei „ein sehr eigenwilliger Vertreter landwirtschaftlicher Interessen“ gewesen, erinnerte sich Helmut Schmidt. In „immerwährender Volksverbundenheit“ (Ex-FDP-Chef Wolfgang Gerhardt) und in sahnesteifer Entschlossenheit focht er in Brüssel wider Agenten fremdländischer Nährstände, half in den parlamentarischen Sommerpausen beim Milchausfahren, um den heimischen Milchsee weiter zu speisen, und trat als „Ernährer der Landwirtschaft“ gegen jedweden Frondeur und Sausack an, „was er selbst mit einem Schmunzeln quittiert haben soll“, wie es noch heute auf agrarzeitung.de anerkennend heißt.
Überhaupt, da beißt die Hofkatze keine Maus kaputt: Josef Ertl stellte Genscher, Strauß und andere Bonner Bratkartoffeln leibumfänglich easy in den Schatten, kämmte sich stets gut, neigte beim ministeriellen Zuhören bisweilen den Trutzburgkopf schicklich und taktisch ausgefuchst zur Seite, griff oft, seine tiefe Nachdenklichkeit unterstreichend, zur wertmassiven, getönten Brille aus dreihundertjährigem Alpeneichenholz, aß öffentlich deutsches Fleisch, das man in Afrika nicht hatte verhökern können, und legte, fiel ihm plötzlich nichts mehr ein, den schaurigen Schädel in den stolzen Stiernacken, auf dass der politische Kontrahent schließlich doch verzagte und winselnd klein beigab.
Der bedauerlicherweise erwähnte Spiegel schrieb vor vielen Jahrzehnten einmal, Josef Ertl habe am Kabinettstisch „gegrunzt“. Das konnte schon deshalb nur eine Falschmeldung gewesen sein, weil Kanzler Schmidt seinen Minister für Pflügen, Spachteln und Baumumhaun beinahe innig arbeiterbewegungsbewegt „Bruder Josef“ nannte, während Franz Josef Strauß dem Barden der Bauern bereits im bayerischen Landtagswahlkampf 1970 den Ehrennamen „Jungsiegfried aus Bayern“ verliehen hatte.
Farbige Unbeherrschtheit
Oh, wie wahr und „werturteilsfrei“ (der Weber-Max) hatte der harte Hund aus beider Heimat da gesprochen (obwohl er in derselben Rede im Bierzelt in Gunzenhausen die „etwas farbige Unbeherrschtheit“ von Ertls „sprachlichen Darbietungen“ tadelte, weiß Gott, da riss der Richtige die Gosch’n auf). Ich kann Zeugnis ablegen von Ertls mutigen Taten im Bundestag am Rhein, einen Schatz tönender Dokumente nämlich birgt mein Computer.
„Also, Herr Niegel, Sie sollten einmal endlich vernünftig und zivilisiert zwischenrufen, weil ich Sie noch nicht einmal akustisch verstehen kann, und ich möchte Sie nicht zur Kategorie von Urwaldbewohner einordnen“, schlug Ertl einen Angreifer zurück, einen anderen erdete er: „Nein, nein, wissen Sie, man darf nicht mit Mondlandschaften arbeiten, oder man muss selber zum Mond fahren.“ Und ein andermal stellte er klar: „Lieber Killy, ich freue mich über Ihre Bemerkung zwischen Schweinezyklus und Ertl-Zyklus. Der einzige Unterschied ist: Schweine gibt’s mehr, Ertl gibt’s nur einen“, und so manche Kuh gibt’s gleichfalls nur im Singular: „Die Kuh, die heute geschlachtet wird, ist in drei Jahren wieder nachgewachsen.“
Schmiergelder und Butterberge
Allein, Josef Ertl war nicht bloß ein Verteidiger der guten Gegenwart unter seiner Ägide, er war auch „futurolistisch“ (Ertl, ebenfalls im Hohen Hause) begabt, weshalb er zwecks Sicherung der Zukunft seiner fantastischen Partei ganz wunderbare Schmiergeldvorgänge einleitete, etwa indem er im Flick-Zusammenhang sogenannte Beraterhonorare von Krauss-Maffei durch eine „parteieigene ‚Waschanlage‘ “ (Spiegel) schleusen ließ oder indem er von einem FJS-Spezi fette Geldbündel entgegennahm, um im Gegenzug einem anderen „Geschäftsmann“ Bundeszuschüsse zu gewähren, auf dass jener den deutschen Butterberg durch subventionierte Exporte nach Italien abbaue und bezwinge.
1995 rief Oskar Lafontaine auf dem SPD-Bundesparteitag in Mannheim aus: „Es gab die Internationale, und die hieß eben: Alle Menschen werden Brüder!“ Auch da kamen die Sozen mal wieder zu spät. Denn wer blickte schon in den siebziger Jahren im Bundestag textsicher weit voraus und bekannte: „Sie wissen’s, ich hab’s mit Mozart: Seid umschlungen, Millionen!“? Unser Josef.
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