Die Wahrheit: Der Ausgehfertige
In unserer beliebten Reihe „Schurken, die die Welt beherrschen wollen“ kommt heute der Hesse Tarek Al-Wazir zum Aufruf.
Hanau, irgendwo bei Frankfurt. Gut 100 Bürger haben sich in einer alt gewordenen Fabrikhalle versammelt, die noch als Denkmal einer rasant verwelkenden Industriekultur am Leben gehalten wird. Vorne, am Rednerpult, ein gut geschnittener Herr. Sein Thema: die digitale Stadt, in der alles bis aufs i-Tüpfelchen verflochten sein wird, außerdem die Energiewende und obendrauf die E-Mobilität. Begeistert führt er aus, dass Straßenlaternen demnächst Daten über Verkehrsfluss und Temperatur aufsaugen werden und Menschen bald mit Brennstoffzellen betrieben werden können.
Es ist Tarek Al-Wazir, der hier zu jungen Projektpartnern aus den Zukunftsbranchen spricht, die wie er in den letzten Jahren aufgeblüht sind. Seit Januar 2014 amtiert er in ganz Hessen als Minister, als Wesir, wie der inzwischen etwas abgenutzte Knüttelvers auf seinen Namen lautet. Dass es mit ihm so weit kommen konnte – hatte er vielleicht selbst nicht erwartet, und er verdankt es hauptsächlich seinem Parteifreund Volker Bouffier.
Dessen Vorgänger als hessischer Ministerpräsident und CDU-Vorsitzender, Roland Koch, hatte Tarek Al-Wazir noch als Linken, als Kommunisten, vor allem aber als sogenannten Grünen beschimpft – was heute ein Kalauer wäre, damals aber in Hessen buchstäblich fruchtbare Ohren fand, im wahrsten Sinne des Wortes auf offenen Boden stieß. Die hessische CDU, jahrzehntelang vom Ostlandritter Adolf „Alfred“ Dregger auf Vordermann gehalten, hielt unter dessen Ziehsohn Koch eisern die Front.
Zeitgemäß gefärbte Reformer wie Tarek Al-Wazir hatte Koch instinktiv als „Todfeind“ auf dem hauseigenen „Radar“, um es mit einem Wortspiel „auszudrücken“. Koch war ein eingeschweißter oder auch eingeschworener Fundi. Realos wie Al-Wazir, die pragmatisch und kompromissbereit gepolt waren, hasste er mit allen Fasern seines schwarzen Hirns, und das waren hunderte.
Feinde auf der Bühne
Die Feindschaft „kochte“ über, als Al-Wazir 2008 auf offener Bühne „Koch“ den Handschlag verweigerte, nachdem dieser mit Volksaufklärung und Propaganda die doppelte Staatsbürgerschaft bekriegt und Al-Wazir, der ein halber Asteroid, pardon: Jemenit ist, die Lebensgrundlage wegzureißen gedroht hatte – ja: gedroht gehabt hatte, ist das doch wirklicher Schnee von vorgestern, weil die politische Landschaft sich seither komplett gedreht hat.
Seit seinem Rücktritt im Jahr 2010 und seinem Umzug in den Bau- und Dienstleistungskonzern Bilfinger ist Roland Koch vergessen und, um es mit einer Metapher zu sagen, vollständig tot. Sein Nachfolger Volker Bouffier, der anfangs auch als Fundi galt, siedelte nach und nach ins Realo-Lager über. Anfangs kabbelten er und Al-Wazir sich noch in aller Öffentlichkeit, sofern dieses Wort auf den Wiesbadener Landtag passt.
Doch schon 2011 gingen sie „Hand“ in „Hand“, wie der populäre Schüttelreim lautet, verankerten die Schuldenbremse bis über beide, nein: beider vier Ohren in der Landesverfassung, fixierten gemeinsam die Energiebremse, oder fachsprachlich: den Energiekonsens – und seit dem 19. 1. 2014, als sie endlich gegen alle (wahrhaftig in der Luft liegenden!) Vorurteile koalierten, ist der Wazi sogar Buffis Stellvertreter als Ministerpräsident in Hanau, Quatsch: Hessen.
Der Offenbacher
Wie andere Bürgerkinder lief Al-Wazir, seit 1971 Sohn eines im schönen Offenbach an Land gegangenen Diplomaten und Geschäftsmannes aus dem dicksten Orient sowie auch einer Lehrerin, während seiner Adoleszenz heiß, rebellierte gegen die Realität und schloss sich der „Grünen“ Jugend an, der Nachwuchsorganisation der CDU. Wie andere gutgehende Mitglieder der Mittelschicht wurde er aber über die Jahrzehnte erwachsen, richtete sich, kaum dass er sich an der Universität Frankfurt als Diplom-Politologe ausgehfertig gemacht hatte, mit Zipp und Zapp im hessischen Landtag ein und zog schließlich als Minister für Wirtschaft und Energie im Wortsinne „unter“ Bouffier ein.
Gemeinsam treiben sie seither die ökologische Modernisierung der CDU sowie den Ausbau des Frankfurter Flughafens voran, lassen auf Bergkuppen Wälder für Windräder abrasieren und kriegten auch die Anerkennung Afghanistans als bombensicheres Herkunftsland mit einem sauberen Schnitt im doppeltsten Sinn des Wortes „hin“.
Die hessische Regierung, in der es nirgendwo klappert und zischt, sieht Tarek Al-Wazir als Vorbild für Berlin. Zusammen mit seinem Duzfreund Volki hat er darum das Buch „So geht Schwarz-Grün“ ausgebrütet, das beim Herder-Verlag auf der Lauer liegt, aber sicherheitshalber erst nach der Bundestagswahl raus ins „Leben“ soll.
Wird Tari nach dem 24. September, wenn die SPD weggespült ist und seine Parteifreundin Merkel sich nach anderen Partnern umschaut, einen Ministerstuhl in ihrem neu zusammengewürfelten Kabinett annehmen? Und was machen Robert Habeck und Boris Palmer, die sich in der CDU auch Hoffnungen machen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin