Die Wahrheit: In der Sommersauna
Endlich wieder zu Besuch in Finnland. Und ab ins Dampfbad um die Ecke. Wo ein Aufguss nach dem anderen einem alles wegbrennt …
J eder redet mit jedem. Und zwar laut! In einer deutschen Sauna wäre man längst zur Ordnung gerufen worden, hier dagegen herrscht Marktatmosphäre. Und nach dem Aufguss ist es scheißegal, ob jemand reinkommt oder rauswill. In der deutschen Sauna gibt es dann sofort empörte Proteste. Der Moment kurz vor dem Aufguss wird in Deutschland andächtig zelebriert. Es ist, als höbe gleich Kardinal Marx zur Predigt an. Nach dem Aufguss lauscht man ehrfürchtig dem heiligen Heiß!
In Finnland gießt jeder auf! Man muss auch nicht vorher extra Abitur machen oder Fahnen schwenken üben, um mit dem Handtuch Luft verteilen zu dürfen. In Finnland verteilt die sich von selbst. Das liegt aber auch daran, dass hier ständig Aufgusszeit ist. Löyly. Dampf!
Ich bin auf meinem jährlichen Finnlandbesuch in der öffentlichen Sauna von Tampere und auf meinem vierten Gang irgendwie in die heißeste Ecke gelangt. Ungefähr dreißig Saunagäste drängen sich auf den Holzbänken der Rauhaniemen Kansankylpylä, der Volksbadeanstalt des Stadtteils Rauhaniemi. Der erste Saunagang hat mich noch komplett verbrannt, der erste Gang in den See mich danach eingefroren. „Vesi, Water: 15 Grad“, steht auf der Schiefertafel. „Angemessen“, sagt mir Juha. Ja gut, wenn das angemessen ist, gehe ich rein. Und nach dem ersten, sehr kurzen Tauchbad entwickelt die kalte Flut des Näsijärvi Suchtcharakter.
Ich bin mit Marja hier, einer finnischen Freundin. Wir sitzen auf der mittleren Bank und schwitzen. Die Tür öffnet sich, und Marja gluckst erfreut. Wir treffen zufällig ihre Tochter Paula mit Freundin Sarah und deren Tochter Inari. Zwei Jahre alt! Mit zwei Jahren in die Sauna? „Man sagt, ein Kind muss ein Jahr alt sein“, erklärt Paula, und Marja erzählt: „Dich haben wir mit sechs Monaten mitgenommen, Paula.“ Der Mann neben mir sagt: „Mein Kind war ein viertel Jahr alt. Sie mögen es.“ Und schon kommt eine Mutter mit Säugling herein. In Deutschland käme fünf Minuten später das Jugendamt.
Der schwer tätowierte riesige Typ mit den Ohrringen bringt schon wieder einen Eimer Wasser mit. Er setzt sich, schaut mich an, geht zum Bottich und kippt eine Kelle nach der anderen auf die heißen Steine. Die Hitzewelle verbrennt meinen Schädel. Meine Ohrhärchen werden abgeflämmt. Der strenge Geruch von Verbranntem steigt mir in die Nase. Ich schütze mein Gesicht mit den Händen und atme durch die Finger. Nicht gut! Eine Schneidbrennerflamme fährt mir in die Nasenlöcher.
Der Finne gießt weiter auf. Nun verbrühen die Härchen an meinen Unterarmen. Elmsfeuer tanzen über meinen Schädel. Ich will es dem Riesen zeigen. Also bleibe ich. Ich steige sogar nach oben. Ich sitze und schwitze und lenke mich ab, indem ich mir Ehrennamen gebe: Ich bin Häuptling Burning Spear, nein, Burning Ear. Wasserfälle rinnen mir vom Körper. Mit meinem Schweiß könnte man Aufgüsse machen. Dann geht es wieder in den See. Fünf lange Saunagänge! Herrliche Stunden in der Sommersauna.
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