Die Wahrheit: Schriftsteller im Netz
Unsere Schwerintellektuellen sind mit einem Augenzwinkern im Internet unterwegs – und um Werbung für sich selbst zu machen.
N eulich fuhr ich mit meinem Fahrrad in die glitzernde Traumwelt, die wir uns angewöhnt haben „Universität“ zu nennen, und filmte dabei mit meinem Smartphone eine soziologische Hammerthese, die ich mir gerade ausgedacht hatte. Also, ich filmte mich selber und sprach über passiv-aggressives Nicht-Liken im Internet.
An der roten Ampel wollte ich gerade auf „Send“ drücken, da bremste neben mir mein alter Freund Florian sein Monster-Bike. „Naa, ,zwitscherst' du wieder?“ – „Nein, ich bringe gerade Schönheit und Kritik in die Welt. Was ist denn deine ,Kultur des Wartens‘, Kollesche?!“ – „Ich bin jetzt auch auf Facebook!“ – „Aha.“ Ich musste weinen.
„Woher wusstest du das?!“ – „Nun“, hob ich an, „Schriftsteller erkenne ich an ihren Fahrrädern. Und im Internet daran, dass sie sich 2016 widerwillig angemeldet haben. Bei, natürlich, Facebook.“ – „Soso, und was machen die da?“ – „Nun, sie verbreiten ihre eigenen Bücher, Lesungstermine oder Zeitungstexte. Niemals andere Sachen, schon gar nicht Fotos, denn das sind absolut vor der Gier und dem Datenhunger amerikanischer Unternehmen zu schützende Güter“, erläuterte ich.
„Und Texte der Kollegen?“, fragte er. „Werden dann geteilt und mit einem Daumen veredelt, wenn es um die eigene Sache geht. Also Rezensionen der eigenen Bücher.“ – „Ist doch normal!“ – „Genau. Und das Schöne ist, dass Schriftsteller dabei dem gemeinen Internetpöbel moralisch überlegen sind, denn ihnen ist Selbstinszenierung oder gar Like-Raffgier fremd.“
„Verstehe“, sagte Florian. „Viele betreiben im Internet ja auch einen Wikipedia-Eintrag und eine ,Homepage'. Woran erkenne ich das?“ – „Den Wikipedia-Eintrag erkennst du daran, dass sämtliche Schriften des Schriftstellers – ja, es sind Männer aus den achtziger Jahren, von denen ich spreche – aufgeführt werden. Das vollständige Literaturverzeichnis ist überschrieben mit ,Auszug‘ in Klammern. Das Verzeichnis beginnt mit den ersten Einträgen in der Abi-Zeitung aus den frühen Achtzigern und endet mit den Werken, die noch ,im Erscheinen' (!) sind.“ – „Haha, der alte Indianertrick!“ Florian lernte schnell.
„Die von einem IT-Freund gebaute Homepage wird alle paar Monate um neue Lesungstermine ,aktualisiert‘. Du erkennst die Seite daran, dass sie mobil nicht funktioniert und mit 3-D-Effekten arbeitet. Das rotierende Logo hat auch der IT-Freund gebaut.“
Jetzt kam ich richtig in Fahrt. „Und auf der Homepage gibt es einen langatmigen Rechtfertigungstext, der einerseits alles Mögliche anklagt (Amerika, Datenhunger etc.), anderseits nachdenklich einen Bogen schlägt zu den Anforderungen unserer Zeit und der einsamen Position desjenigen, für den Bücher immer noch einen haptischen Wert besitzen. Und sämtliche Begriffe, die nach 1994 entstanden sind, werden mit ironischen Distanzierungshäkchen versehen, also zum Beispiel ,Zwitschern' “. Florian gefror das Blut.
Die Ampel sprang auf Grün, wir sattelten unsere Bikes und fuhren schweigend der Abendsonne entgegen.
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