Die Wahrheit: Vollbremsung beim TÜV
Selbstjustiz beim Technischen Überwachungsverein: Endlich fasst man sich dort an die eigene Prüfnase.
Nach Volkswagen, Beckenbauer, ADAC und Wehrmacht droht einer weiteren urdeutschen Institution der Verlust von Ansehen und Vertrauen: dem TÜV. „Fragwürdige Zertifikate, laxe Kontrollen und Geschäftemacherei“, warf der Spiegel dem Technischen Überwachungsverein kürzlich vor. Der hat jetzt die Flucht nach vorne angetreten. Gestern beichtete der Verband TÜV e. V. im Rahmen einer turbulenten Pressekonferenz in Berlin seine peinlichsten Pannen und unnötigen Skandälchen gleich selbst.
Demnach hat der TÜV Rheinland wiederholt Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP durchgewinkt, die sich später als undicht und schwer gesundheitsschädigend herausstellten. Offenbar wurden die zu prüfenden Silikonkissen den meist männlichen Prüfern fortgeschrittenen Alters bereits in Gebrauch, sprich: einoperiert zur Begutachtung vorgelegt. „Einmal hingucken, zwei-, drei-, vierzehnmal anfassen, Fotos und Videos fürs Protokoll machen, schon gab es das Siegel, einen Handkuss und Poklapser“, wird im Handout für die Journalisten eine PIP-Angestellte zitiert.
Nächster Punkt: Mehrere 2013 vom TÜV freigegebene 3-D-Drucker fabrizierten Miniaturmodelle von Menschen in bizarren Todesverrenkungen, obwohl die Printer nur mit Alltagsfotos der Personen gespeist worden waren. Beschwerden verstörter Kunden fruchteten nichts. Im Gegenteil: der TÜV ließ sich sogar zu der nachträglichen Auszeichnung „Lob für Kreativität“ hinreißen.
Auch mit dem Auktionshaus eBay handelte man unseriös: Das erhoffte sich das wichtige „S@fer Shopping“-Zertifikat und bot dem TÜV Süd an, der nebengewerblich immer noch einen eBay-Shop für gebrauchte Teekannen unterhält, für ein Jahr lang die Transaktionsgebühren zu erlassen. Die TÜV-Mitarbeiter, so heißt es in den Unterlagen, verstanden den Wink mit dem Zaunpfahl und verschickten das Zertifikat als Großbrief per Einschreiben (1,45 € + 2,15 €). Die Positivbewertung durch den Online-Flohmarkt verstand sich von selbst: „Unkompliziert, unseriös, saukorrupt, gerne wieder!“
Vun dä Tüww geprieft
Ein juristisches Schlupfloch machte sich jahrelang der TÜV Saarland zunutze: die komplette Aufgabe gesetzlicher, technischer und ethisch-sozialer Mindeststandards. Die Phrase „vun dä Tüww geprieft werre“ verwendet man, wie Recherchen der Wahrheit ergaben, im Saarland heute synonym für „um die Ecke gebracht werden“.
Durch einen Verwaltungsfehler übernahm eine Unterabteilung des hessischen TÜVs, so bekannten die TÜVler gestern zerknirscht in Berlin, eine Zeit lang die Aufgaben der Deutschen Film- und Medienbewertung Wiesbaden. In der Folge erhielten die Filme „Blutjunge Nackthexen zersägt und zur SPD-Mitgliedschaft gezwungen“ und „Blutjunge Nackthexen 2: Electric Boogaloo“ das Prädikat „besonders wertvoll“, woraufhin die Streifen unzähligen Schulklassen im Religionsunterricht vorgespielt wurden.
Im Jahr 2008 unterzog die TÜV-Außenstelle Islamischer Staat zehn Rasierapparate einer Langzeitbelastung. Dabei wurden die Rasierer in ein Gerät gelegt und über 24 Stunden extremen Vibrationen, Temperaturen und Luftfeuchtigkeitswerten ausgesetzt. Ergebnis: Alle zehn Apparate gingen kaputt, aber immerhin das Belastungsgerät erhielt das begehrte TÜV-Siegel und wurde für einen sechsstelligen Betrag an die Stiftung Warentest verkauft.
Der Aufzugs-TÜV
Die Überwachung von Aufzügen zählt seit je zu den Kerngeschäften des Prüfvereins, wie auf der Pressekonferenz erneut bestätigt wurde. Um mehr Kapital aus der eigens für ihn geschaffenen „Betriebssicherheitsverordnung“ zu schlagen, ließ der TÜV Thüringen 2005 ein Gebäude ins Zentrum von Jena setzen, das einzig aus Fahrstühlen besteht. Rund um die Uhr sind seitdem Dutzende TÜV-Prüfkräfte mit den 87 Lifts beschäftigt (einsteigen, Notstopp drücken, aussteigen, Feierabend) – ein lukratives Auf und Ab, das mittlerweile sogar an den Fachhochschulen für Korruption und Mauschelei in Brasilia und Luxemburg gelehrt wird.
Ein Schweizer Hersteller brachte mit dem Segen des TÜVs Herzschrittmacher auf den Markt, die zu explodieren pflegten, so kleinlaut die Herren des TÜVs, wenn der Patient sich schneller als mit 50 Meilen pro Stunde fortbewegte. Der Journalist Frank Schirrmacher kam dem Skandal 2013 auf die Schliche und plante ihn in seinem Enthüllungsbuch „Herrje, warum ist das moderne Leben bloß so kompliziert?!“ zu veröffentlichen. Doch dazu sollte es bekanntlich nie kommen, Schirrmacher wurde unter so tragischen wie nebulösen Umständen „zurückgerufen“.
Versöhnliches am Ende der Pressekonferenz gestern in Berlin: Tauben, die dümmsten Tiere der Welt, sollten schon 1953 aus dem Verkehr gezogen werden. Allein dem TÜV, der bei seiner Gründung 1866 noch „Dampfkessel-Revision-Verein“ hieß, ist es zu verdanken, dass die Viecher noch immer, als Vögel deklariert, unbehelligt die Innenstädte durchlaufen und verpesten dürfen.
Und dann – Aufatmen nach der Konferenz: Zumindest beim TÜV ist durch die öffentliche Beichte Dampf aus dem Kessel genommen worden.
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