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Die WahrheitDas Mantelproblem

Kolumne
von Eugen Egner

Sich zwischen zwei Filmen zu bewegen, von denen einer nur unter einem Mantel abläuft, wenn der Mantel selbst nicht fortläuft, ist nicht leicht.

A m Abend begleitete ich meine Cousine ins Kino. Beim Einlass in den Saal wurden Brillen verteilt, die helfen sollten, den Film besser zu verstehen. Ich ließ mir gleich mehrere geben. Obwohl ich fremd in dieser Weltgegend war, kannte ich doch den Brillenwart, der mich freundlich grüßte. Ich hätte ihn gern nach seinem Befinden gefragt, kam aber nicht dazu, denn der Publikumsstrom trug mich unaufhaltsam fort zu den Sitzplätzen.

Nachdem ich neben meiner Cousine Platz genommen und meinen Mantel abgelegt hatte, setzte ich die Brillen auf. Trotzdem verstand ich den Film nicht. Gleich in der ersten Szene fraß die Hauptdarstellerin einem Schauspielerkollegen die Armbanduhr vom Handgelenk. Danach sah ich nicht mehr hin. Ich nahm die Brillen ab, zog meinen Mantel über mich und dachte mir einen anderen Film aus.

In diesem anderen Film wurde ich gebeten, bei der Kasse vorzusprechen. Peinlich berührt stand ich auf, um mich vor aller Augen zwischen zahllosen Rückenlehnen und Knien hindurchzuzwängen, bis ich endlich den Gang erreichte. An der Kasse erwartete mich eine Kriminalkommissarin mit der Nachricht, mein Mantel treibe sich in der Welt herum und begehe Straftaten, darunter auch Maßstabsverhetzung. Nun sollte ich die Unschuld des Mantels beweisen, von dem ich beteuerte, ihn auf meinem Sitz zurückgelassen zu haben. Um das zu überprüfen, hätte das Saallicht eingeschaltet werden müssen.

Aus Höflichkeit gegenüber dem Publikum beschlossen wir, zu warten, bis der Film zu Ende war. Vorher aber endete der, den ich nicht verstand. Ich musste wieder unter meinem Mantel hervorkommen und ihn anziehen, um das Kino zu verlassen.

Draußen schlug meine Cousine vor, etwas essen zu gehen, und wusste auch ein neues Lokal ganz in der Nähe. Es hieß Schreckliche Wagnisse mit Speisen. Als von Natur aus starker Esser hatte ich nichts dagegen. In dem gar nicht gut besuchten Restaurant hängten wir unsere Mäntel auf und setzten uns an einen Tisch. Der Kellner brachte die Karte, die Cousine wählte das Kartoffeltrauma.

„Mir bitte Fleisch“

„Sehr wohl“, sagte der Kellner, „und der Herr?“ – „Mir bitte Fleisch“, antwortete ich. Daraufhin entfernte sich der Kellner, kam jedoch wenig später zurück. Ich dachte, er hätte unsere Bestellung vergessen, stattdessen teilte er mir aber mit, mein Mantel hänge nicht mehr an der Garderobe. Sofort lief ich hin und überzeugte mich: Jawohl, mein Mantel war weg.

„Hoffentlich bekommen Sie ihn zurück“, äußerte der Kellner mitfühlend. „Die Hoffnung“, erwiderte ich, „ist das wichtigste Organ und daher das größte.“

Die Kriminalpolizei wurde eingeschaltet und fand heraus, dass mein Mantel nicht gestohlen worden war, sondern sich aus eigener Kraft entfernt hatte. Er streifte mutwillig umher und war bereits zahlreicher Delikte schuldig. Meine Befürchtung, dafür verantwortlich gemacht zu werden, wurde von der Polizei nicht entkräftet.

Diese neue Entwicklung berührte mich ausgesprochen unangenehm. Alle, die schon etwas Derartiges erlebt haben, werden nachempfinden können, wie mir zumute war.

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