piwik no script img

Die WahrheitGefällter Baum auf Krücken

Im Zuge der Gentrifizierung tobt im Osten Berlins ein erbitterter Krieg der Yogakulturen. Ein sportiver Frontbericht.

Foto: Hannes Richert

Gretl Baripada ist völlig verzweifelt. Seit 23 Jahren betreibt die Endfünfzigerin ihre Yogaschule Haridwar am Petersburger Platz in Berlin-Friedrichshain. Ein Radfahrer hat sie angefahren, abends spät nach dem Abschließen ihrer Räume, mutwillig und bösartig. „Der Fahrer war vermummt!“

Mehr als vier Wochen musste Baripada alle Yogakurse absagen, nun quält sie sich wieder schmerzverzerrt auf die Isomatte. Trotz Krücken, trotz Gips, trotz der Schrauben im Mittelfuß, ein paar treue Kundinnen halten zu ihr. „Aber das reicht nicht“, klagt die engagierte Yogalehrerin. Sie stellt sich demonstrativ in die Baum-Haltung. Der Gipsfuß zieht am Gleichgewicht, Gretl Baripada fällt um. Ein gefällter Baum im Friedrichshain.

Der Kiez wurde erst relativ spät von der Aufwertungsspirale in der Hauptstadt erfasst. Inzwischen reihen sich auch hier engagierte Burgerbuden, Hipstercafés und Biomärkte aneinander. Mit der Gentrifizierung kamen die Yogastudios. Und die Konkurrenz. Vier Neueröffnungen machen den angestammten Anbietern das Leben schwer.

Katzenfutter aus Tofu

„Immer häufiger fragen Menschen nach Probetrainings und vergleichen die Preise“, erklärt Swantje Talweiler vom Yogastudio Fröhlicher Sonnengruß. „Wo kriege ich am meisten Entspannung für das allerwenigste Geld?“

Der Markt war zu schnell gewachsen, ein erbitterter Preiskampf die brutale Folge. „Und dabei steigen doch die Mieten!“, stöhnt Talweiler. Das Yogastudio Stern & Kreis in der Sorgestraße gab als erstes auf. Das Haus verkauft an raffgierige russische Investoren, drastische Mieterhöhung, sinkende Kursgebühren, der Traditionsbetrieb musste schließen, da half auch nicht die demütige Kniehaltung. Heute ist in dem Ladenlokal eine Manufaktur für veganes Bio-Katzenfutter. Der Laden brummt.

Dann begannen die Sabotageakte. Es fing an mit Negativbewertungen auf großen Onlineportalen wie Yelp. Gretl Baripada zeigt einen feinsäuberlichen Ausdruck: „Der Kurs ist langweilig, die Lehrerin eine angestaubte Kräuterhexe, und die Yogamatten riechen nach alten Fürzen.“ Baripada steigen die Tränen in die Augen. Swantje Talweiler berichtet ähnliches: „In einem Forum wurde doch allen Ernstesbehauptet, ich würde im Morgengruß statt der Kobra das Krokodil lehren. Was für ein ausgemachter Schwachsinn!“

Es blieb jedoch nicht beim virtuellen Cybermobbing. Das Yogazentrum Körperklang am Bersarinplatz firmierte tagelang als Yogazentrum Körperklaus, bis die Betreiberin durch laut gackernde Schulkinder endlich darauf aufmerksam wurde. „Das waren Vollprofis“, schimpft Babette Chicorée. Swantje Talweiler bekam sogar eines Tages Besuch vom Staatschutz, da Unbekannte ihre Einrichtung über Nacht in die Yogaschule Fröhlicher Hitlergruß verwandelt hatten.

Seit „die Neuen“ aufgemacht hätten, sei es total unerträglich geworden, sind sich die unter Druck geratenen Betreiberinnen einig. „Die Neuen“, das ist vor allem der lichte McYoga-Tempel in der Kochhannstraße. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem schlichten Kiosk vorbei. Spätkauf Yoga besagt die flimmernde Leuchtreklame. „Früher hießen wir Spätkauf 2“, erklärt Murat, der Verkäufer. „Aber Chef meinte, muss voll in diesem Kiez Yoga heißen, fürs Geschäft.“

Und wenn mal wirklich jemand nach Yoga fragt? „Sag ich, is Zwillingsschwester von Frau vom Chef: Yüksel und Yoga“, er grinst. „Aber der Umsatz steigt!“ Er zeigt auf einen probiotischen Vitamindrink auf Grünteebasis in den Geschmacksrichtungen Cranberry-Dill, Spinat-Pfirsich und Radieschen-Kakao-Basilikum. „Läuft total gut. Oder kauf Schokolade: Yogarette.“ Er lacht.

Yoga mit Hornhaut

Der McYoga-Tempel residiert über Denn‘s Biomarkt. Helle Räume, der beherrschende Farbton ist Bambuslaminat. Eine Anna-Lena macht uns mit den Angeboten vertraut: „Business-Yoga-Workout“, „Turbochillen beim Poweryoga“ und „Adventure-Ajurveda mit Inklusiv-Smoothie und After-Party“. Sauna und „Feetology“ runden das Angebot ab. „Feetology?“ Im Prinzip Fußpflege, erklärt Anna-Lena, aber für eine jüngere Zielgruppe. Auch Business-Punks haben Hornhautprobleme.

McYoga funktioniert nach dem Franchise-Prinzip. Kursleiterschulungen finden im McYoga-Ashram in Wolfenbüttel statt, drei Wochen dauert die Ausbildung. Illian hat sie absolviert: Der Bulgare, der zuvor als Bauhelfer gearbeitet hat, hatte zuvor nie mit Yoga zu tun. Heute ist er Feuer und Flamme: „Endlich mal Mindestlohn! Toller Job – und viele attraktive Chicks in Leggins!“

Gretl Baripada kann darüber nur lachen. Sie ist Yogalehrerin vom alten Schlag, hat ihre Ausbildung in Rishikesh gemacht, einem Vorort des Himalajas, dort lernte sie auch ihren Mann kennen, der im Prenzlauer Berg die nepalesische Suppenküche Kathmansoup betreibt. Kurz nach dem Mauerfall eröffnete die gebürtige Ulmerin ihre Yogaschule, als erste am Platz. „Bei den Ossis bestand ja spiritueller enormer Nachholbedarf.“ Im Geiste Willy Brandts sieht sie sich als Pionierin der Entspannung zwischen Ost und West.

Ganz anders Markus Brettschneider. Er ist dynamischer CEO der McYoga AG. Die Besitzverhältnisse sind unklar, eine Tochter von Rocket Internet der Samwer-Brüder soll Anteile besitzen: Yoga ist Wachstumsbranche. Brettschneider spricht von Lifestyle-Management und Zielgruppenmonitoring. Friedrichshain sei ein ideales Umfeld für Wellness-Investment und eine gute Work-Life-Rendite: „Wir gehen dorthin, wo unsere Klientel ist: völlig frustrierte und überarbeitete Akademikerinnen.“

Heilstein aus Jade

Die angestammten Anbieter betrachte man nicht als Konkurrenz. Ob er von dem Attentat auf Gretl Baripada und den Sabotageakten gehört habe? Kein Kommentar.

Zurück in der Yogaschule Haridwar. Ein Stein ist durchs Fenster geflogen: Überall Scherben auf den Matten, einer Durga-Statue sind drei von acht Armen abgebrochen. Gretl Baripada ist fassungslos. „Das war einer von den anderen Studios! Schauen Sie doch mal, das ist kein normaler Kiesel! Das ist ein Heilstein aus Jade!“

Der Yogakrieg in Berlin-Friedrichshain geht weiter. Nichts deutet auf Entspannung hin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!