Die Wahrheit: Allerlei Landeierei

Ich lebe in einer Weltgegend, die zwar dichter besiedelt ist als Simbabwe, aber dünner als Castrop-Rauxel. Manchmal riecht es nach Gülle...

...und manchmal nach Silage, aber immer nach Provinz. Selbstverständlich haben die meisten meiner Nachbarn längst DSL, aber trotzdem, die Ambitionen sind andere als in der Stadt. Bei uns möchte man Schützenkönig oder Vereinsmeister im Kegeln werden, während man in der City damit zufrieden ist, auf dem Weg zum Bahnhof nicht überfallen zu werden.

Wir Landpomeranzen wollen immer die ersten sein. Beim Aldi-Schnäppchen, bei der Dorfkonkurrenz um den gejätetsten Vorgarten und beim Überbringen schlechter Nachrichten. Ich habe ein ganzes Bündel von Nachbarinnen, die mich regelmäßig mit Krankheiten und Todesfällen der Umgebung versorgen. Verbal natürlich.

Nach einem Treffen mit Anna brauche ich meist einen Piccolo, um wieder in die Spur zu kommen. Wenn es aber Barbara war, o je, da muss auch der Likör noch her, denn sie ergänzt ihre Erzählung liebevoll mit den Verkehrsunfällen und Verbrechen der letzten Jahre, die ich noch bis eben gnädig vergessen hatte.

Anscheinend lauert um mich herum überall das Verderben. Streckenweise reduzieren sich meine Ambitionen darauf, den Weg vom Bett bis zur Kaffeemaschine unfallfrei zu überstehen.

Natürlich sind wir alle nicht nur Publikum, sondern auch Stoff für diesen großen kollektiven Roman, weswegen ich meine Arztbefunde besser bewache als meine wenigen Schmuckstücke und den Flachbildfernseher, der mir die entfernteren Dramen ins Haus trägt.

Wahrscheinlich werde ich eines Tages von meiner Nachbarin erfahren, dass ich unheilbar an Krebs erkrankt bin, noch ehe mein Arzt eine Ahnung davon hat. Auf jeden Fall will ich aber schon seit Jahren hier wegziehen, wie mir immer wieder berichtet wird.

Das ist zwar einerseits naheliegend, wenn ich mich so zwischen den Silagebergen und Güllelagunen umschaue, die mich umzingeln, hat aber andererseits den kleinen Haken, dass es nicht stimmt.

Ich haben keine Gardinen an den Fenstern, da zieht man eben bald weg. Wir haben Dinge auf den Sperrmüll gebracht, auch dies ein unwiderlegbarer Beweis. Wir haben etwas renoviert - klar, wahrscheinlich würde sonst nie jemand in die verlauste Ex-Städter-Höhle einziehen wollen. Neulich waren wir in Urlaub. Jaja, Wegziehen auf Probe, das kennt man ja.

Schön, dass auch die anderen so berechenbar sind. Wenn Bierflaschen auf der Straße liegen, war Party. Wenn Mittwoch ist, hat der Laden geschlossen. Wenn das Schützenfest naht, erhöht sich die Uniformdichte auf der Straße und im Graben.

Und wenn man die Zeitung aufschlägt, sieht man Fotos von Menschen, die anklagend auf etwas Schreckliches zeigen, zum Beispiel auf ein Schlagloch in ihrer Straße: "Wenn das nicht bald zugemacht wird, geht die Welt unter."

Au fein - was meine Nachbarinnen wohl dazu sagen? Entschuldigen Sie bitte, ich muss mal eben nach nebenan…

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kari

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