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Die WahrheitBrat als Mandat

Neuer Protest gegen die Fußball-EM in der Ukraine. „Wenn der Hoeneß sich zu Wort meldet und sogar die Regierung meckert, dann muss es ernst sein.“

„Wenn der Hoeneß sich zu Wort meldet und sogar die Regierung meckert, dann muss es ernst sein“, betont Hartmut Klotz (59) und malt mit seinem dicken Pinsel ein weißes O auf das große Plakat vor ihm. „Pfui Januko“ steht dort halb fertig geschrieben, als der rundliche Protestkünstler aus Gütersloh uns fragend ansieht. „Witsch oder witz?“, will er wissen.

„Witsch“, erklären wir und ernten ein zufriedenes Nicken. Was auf den ersten Blick wie interkulturelle Hilflosigkeit ausschaut, ist der ambitionierte Versuch eines Frührentners aus Ostwestfalen, den ukrainischen Teil der Europameisterschaft 2012 im letzten Moment nach Deutschland zu verlegen.

An diesem Nachmittag hat Klotz die Presse zu sich nach Hause eingeladen. Wir treffen uns in seiner Werkstatt. Gekommen sind zwei Journalisten. Von einer überregionalen Zeitung aus Berlin und von einem ortsansässigen Anzeigenblatt. Überall stehen alte Pokale, an der Wand hängt ein Wimpel vom SV Spexard, Klotz’ Heim- und Herzensmannschaft.

„Ich bin der Pirat der Fußballwelt, Transparent ist mir wichtig“, betont Klotz und taucht den Pinsel in einen Eimer mit roter Farbe. Dass er das Wort „Transparent“ in diesem Moment mit „Transparenz“ verwechselt, ist ihm egal.

„Kein europäischer Fußballer sollte in einem Land spielen, in dem Frauen wie diese Timoschenko im Gefängnis sitzen und hungern müssen“, sagt Klotz mit Nachdruck, zeigt auf eine zerknitterte Bild-Zeitung aus der Vorwoche und verrät uns seinen bis dato geheimen Protest-Fahrplan.

„Am nächsten Spieltag, wenn mein SV zu Hause den TuS Hiltrup weghaut, werd ich das Plakat verbrennen. Und mich gleich mit, wenn es sein muss“, sagt Klotz wild gestikulierend und mit hochrotem Kopf. „Also, nicht direkt mich, ein Foto von mir. Weil, Fußball ist doch Demokratie und wenn die Russen das anders sehen, dann darf da kein Fußball gespielt werden.“

Während Klotz das sagt, haut er zur Untermalung seiner Botschaft mit der wabbelnden Faust auf einen vergilbten Diercke-Schulatlas von 1960. Seine Frau, die mit einem Teller Ochsenschwanzsuppe in der Werkstatttür steht, nickt zustimmend. Unsere Anmerkung, dass die Ukraine schon seit einiger Zeit nicht mehr zu Russland gehört, bleibt ungehört.

„Ganz Europa soll am Sonntag auf Spexard schauen“, fährt Klotz, der mit seinem massigen Rundkörper und dem fleischigen Gesicht ein wenig an Rainer Calmund erinnert, unbeirrt fort und setzt ein blutrotes Ausrufezeichen hinter die noch feuchten Buchstaben. Medial unterstützt wird er von seinem 16-jährigen Neffen, der eigens für die Aktion eine „Pfui Janukowitsch – Wir wollen die EM“-Seite bei Facebook angelegt hat. „Gestern hatten wir schon 23 Leiks, oder wie das heißt“, betont Klotz stolz und sein gewaltiger Bauch bebt.

„Wenn das Ding erst mal ins Rollen kommt, dann sind wir nicht mehr zu stoppen“, ist er sich sicher. Einige seiner Stammtischfreunde hätten bereits ihr Interesse bekundet, am Sonntag ebenfalls im im Stadion dabei zu sein. „Jedenfalls wenn das Wetter gut ist“, so Klotz. Sogar ein Team von RTL habe sich angekündigt. Interessant und verrückt, genau richtig fürs Fernsehen, hätte die Redakteurin ihn am Telefon genannt.

Klotz legt seinen ochsenweichen Arm um die Schulter des Praktikanten und bietet ihm an, sein Pressesprecher zu werden. Zahlen könne er allerdings erst mal nichts, weil die Sponsoren noch sehr zurückhaltend reagierten. Nur sein Fleischer habe ihm bereits einen Bratwurststand für das Finale zugesagt, das Klotz als Initiator der Aktion selbstverständlich nicht in Kiew, sondern in Gütersloh ausrichten will.

Bevor Klotz weitere Jobs in seinem Stab anbieten kann, entschuldigen wir uns. Beim Hinausgehen fragen wir noch, ob er denn auch bereit wäre, aus Solidarität mit der ukrainischen Politgefangenen, die sich im Hungerstreik befindet, ebenfalls wenigstens einen Tag lang zu hungern. Der gewichtige Protestkünstler Klotz überlegt einen Moment, um schließlich seine voluminöse Stimme für seinen sehr eigenen Schlachtruf zu erheben: „Bier und Brat sind mein Mandat! Mein Mandat sind Bier und Brat!“

Klotz und auch wir sind uns sicher, der Tag, an dem die ganze Fußballwelt auf Gütersloh blickt, wird kommen. Aber jetzt, jetzt gibt’s erst mal Ochsenschwanzsuppe.

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1 Kommentar

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  • BF
    Bernhard Floetotto

    Ihren Kommentar hier ei

    Dass ein Bandscheibenvorfall sich in der Ukraine nicht soll behandeln lassen,klingt merkwuerdig,denn falls keine Operationsanzeige besteht,reichen Brufen,Lonarid und eventuell eine lokale Betaeubung an den entsprechenden Nervenwurzeln aus,mir reichten vor 20 Jahren die ersten beiden.Allerdings kamen mir beim Toilettengang zweimal taeglich die Traenen vor Schmerzen.Ich lag 11 Tage im Bett und las "Der Fall Mauritius". Aber vielleicht hat es Frau Timoschenko schlimmer erwischt.Sollte es in Gefaengnissen der Ukraine keine gute Krankenversorgung geben,so waere das laut Eleftherotypia ein Abstieg seit den Zeiten der Sowietunion,denn damals,zu Zeiten der Roten Armee,fehlte es den Buergern der SU an nichts,wie die "E" vor wenigen Jahren in einer Beilage schrieb,mit schoenen Fotos aus den 60er Jahren.Man las zwar anderes,z.B.ueber die multiresistente Tbc in diesen Gefaengnissen und ueber mangelnde Verpflegung der einfachen Soldaten,aber die "E" muss es ja wissen.Als vor wenigen Jahren die polnische Regierung bei der heim-

    lichen Ueberfuehrung,Verschleppung von Personen,die etwas mit Terrorismus zu tun haben sollten,die CIA unterstuetzte,war das kaum ein Anlass zur Aufregung offizieller Stellen,obwohl viel schwerwiegender als ein nachlaessig behandelter BSV.Uebrigens Gruesse an GT und das ESG.