Die Wahrheit: Endlich Ruhe im Sturm
Noch 201 Tage bis zum Weltuntergang am 21. Dezember.
Eine erstaunliche Ruhe ist eingetreten um den in diesem Jahr erwarteten Weltuntergang. Dabei handelt es sich diesmal um ein Datum, das nicht nur dunkel gekleidete Randgruppen in Endzeitpartystimmung versetzt. Vom Nachrichtensprecher bis zum Gebrauchtwagenhändler, von der Krankenschwester bis zum Sachbearbeiter im Jobcenter, alle sind sich darüber im Klaren, dass der Bewilligungszeitraum womöglich am 21. Dezember 2012 endet.
Den letzten großen Hype um das magische Datum, an dem die Sterne alle in einer Reihe stehen und anschließend in einem gigantischen Sonnensturm verglühen sollen, gab es rund um den 21. Dezember 2011. Aber seither bekam der Weltuntergang, abgesehen vom abgeschmackten Versuch eines Parfümherstellers, dem Thema mit einer Werbekampagne für eine „Final Edition“ noch etwas Geld abzupressen, kaum noch nennenswerte mediale Beachtung. Hinter vorgehaltener Hand werden schon Pläne für 2013 gemacht und TÜV-Plaketten bis 2014 ausgegeben. Und sogar die Natur scheint sich seit längerem mit Katastrophenszenarien zurückzuhalten und kommt erst jetzt mit den Erdstößen in Italien langsam wieder in Fahrt. In der Zwischenzeit musste man sich wochenlang Kreuzfahrtschiffe mit Schlagseite, Talkshows zum Thema Baumarkt oder gar Günter Wallraff ansehen.
Dabei scheinen sich diesmal statt der üblichen Einzelexpertenmeinung des Allzweckwahrsagers Nostradamus die Zukunftsversteher aller Zeiten und Schichten auf ein Datum geeinigt zu haben. Ob es nun Maya, Inka, Petra, Brigitte, Bibel, Nasa, CIA, Roland Emmerich, Martin Walser oder weite Teile der Piratenpartei sind, sie alle raten davon ab, am 21. Dezember das Haus zu verlassen, würden aber auch niemandem empfehlen, dort zu bleiben. Immerhin soll an diesem Tag ein bislang ungekannter Kometenhagel von bis zu 5.000 glühenden Himmelskörpern auf die geschundene Erde niederprasseln.
Andere erwarten Stromausfälle aufgrund verstärkter Sonnenaktivität, die sich in einer fatalen Kettenreaktion zu einem großen, allumfassenden Stromausfall verbinden und so die Menschheit logistisch in die Knie zwingen. Wieder andere erklären, dass das Magnetfeld der Erde nachgibt und wir alle ins All geschleudert werden.
Doch das wahrscheinlichste Szenario ist immer noch das bereits im Kino gesehene apokalyptische Hölleninferno, bei dem sich die Erde auftut und Hochhäuser, Sehenswürdigkeiten, Autobahnkreuze und alles Lebendige gleichermaßen verschlingt und nebenbei trotzdem noch Platz lässt, um einer ausgesuchten Familie die spektakuläre Flucht erst im Auto und schließlich im klapprigen Privatjet zu ermöglichen. Wenn alles umgegraben ist und sich niemand mehr bewegt, wird die ganze Chose inklusive der ausgesuchten Familie, für die keine luftfahrtgerechte Landepiste mehr vorhanden ist, von einer gigantischen Flutwelle überschwemmt, Nach wenigen Minuten ist alles still. Ein schöner Effekt wäre es noch, wenn zuletzt die Kuppel des Berliner Fernsehturms in die schmutzige Brühe plumpst.
Zumindest in Berlin laufen die Vorbereitungen für genau diesen Ablauf der Ereignisse jedenfalls auf Hochtouren. So war dieser Tage die Meldung zu lesen, die Sanierung der Stadtautobahn Avus solle anstatt im Herbst 2013 nun schon in diesem Jahr beendet werden, ganz nach dem Motto: Ohne freie Autobahn keine filmreife Flucht aus der Stadt à la Roland Emmerich. Wann aber wurde zuletzt ein größeres Bauvorhaben zu früh abgeschlossen? Besondere Zeiten scheinen eben besondere Prioritäten zu erfordern.
Auch die verspätete Öffnung des hauptstädtischen Großflughafens in Schönefeld bei gleichzeitiger Verlängerung des Flugbetriebs in Tegel erscheint plötzlich sinnvoll. Wenn man nach dem Beginn der Apokalypse erst mal mit der S-Bahn nach Schönefeld müsste, um die Fluchtmaschine zu erreichen, kann man sich gleich den Strick nehmen oder abwarten und noch einen Schluck Tee trinken, zumal die S 9 zum Flughafen derzeit nur im Zwanzig-Minuten-Takt verkehrt.
Statt also über die verspätete Eröffnung zu schimpfen, sollten sich die Berliner lieber fragen, wie sie den vor Jahren bereits geschlossenen Flughafen Tempelhof schnellstmöglich reaktivieren können. Vielleicht könnte man sogar das Nachtflugverbot ein wenig lockern. Falls nach dem 21. Dezember das finstere Zeitalter anbricht, wäre diese Entscheidung auch nicht von Nachteil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?