Die Wahrheit: Die Tante aus Kiel
Die Journalistin Susanne Gaschke will hoch hinaus.
Alle Jusos kommen in die Jahre. Und manche dabei an die Macht. Für Susanne Gaschke, 45, könnte es bald so weit sein. Sie ist zwar eigentlich Journalistin bei der Wochenzeitung Zeit – doch Kiel, ihre Heimatstadt, sucht einen Oberbürgermeister. Denn Torsten Albig, der vorher den Posten hatte, ist gerade Ministerpräsident von Schleswig-Holstein geworden.
Die Wechselgelegenheit ist günstig. Neobürgerliche, wertkonservative Familienratgeber-Texte und -Bücher („Die Erziehungskatastrophe“, „Die Emanzipationsfalle“) hat Gaschke nun wirklich genug geschrieben. Die Tochter ist an der Uni, der Mann macht für die SPD Verteidigungspolitik in Berlin. Gaschke, in Kiel geboren und immer noch dort wohnend, ist die Lokalpatriotin mit dem richtigen Parteibuch. Gut verdrahtet im politisch-journalistischen Komplex.
Das Übliche – vielleicht gar nicht so übel, könnte man meinen. Wäre da nicht dieser tantige Ton, der Frau Gaschke zu eigen ist. Dieser pastorale, an Gauck gemahnende Pseudohumor. Daran müsste sich Kiel mit einer Oberbürgermeisterin Gaschke gewöhnen. Doch hat diese Stadt am nördlichen Rand, die immer wieder als hässlich, langweilig und spießig gebasht wird, nicht schon genug gelitten?
Was Gaschke 2010 in der Zeit über die Ursprünge ihres politischen Engagements schrieb, lässt für spätere Reden der Oberbürgermeisterin Schlimmes befürchten: „Die erste eigene Begegnung mit Politik, an die ich mich erinnern kann, hatte ich in der sechsten Klasse. Ich war – ich glaube, wegen eines überlegenen Konzeptes für die Organisation der Geisterbahn beim Schulfest – zur Klassensprecherin gewählt worden. Nun durfte ich an den Versammlungen der Schülermitverwaltung teilnehmen.“ Sie sei fasziniert davon gewesen, wie leidenschaftlich sich die großen Jungs von Junger Union und DKP gestritten hätten: „Wer den Streit nicht versteht, kann auch keinen Sinn für die Schönheit des Kompromisses entwickeln. Demokratische Politik ist ja gerade nicht dazu da, Maximalpositionen durchzusetzen …“
Solche Art Leidenschaft entwickelt Gaschke auch, wenn sie über ihre Heimatstadt schreibt. Und das hat sie gerade in der Jubiläumsausgabe zum 40-jährigen Bestehen der Juso-Postille Rotkielchen getan. Dort hatte sie einst als junge Schreiberin ihre Karriere begonnen. Nach einer langen Lobeshymne auf die Stadt an der Förde kommt Gaschke zu einer dramatischen Aufzählung: „Was ist sonst noch toll an Kiel? Auf jeden Fall seine opulenten Wochenmärkte. Dass es hier noch sehr viele rote Eichhörnchen gibt. Der Kreiselkompass wurde hier erfunden! Und das Faxgerät!“
Doch die gute Sozialdemokratin Gaschke schlägt auch Verbesserungen vor: Mehr Stege am Wasser für Paddelboote. Kostenlose Liegestühle in den Parks. Endlich ein Fischrestaurant in der Innenstadt. Und mehr Erinnerung an die Kieler Revolutionsgeschichte. Es ist ihr ein Anliegen, dass jedes Schulkind etwas über den Matrosenaufstand lerne. Doch mit mehr als zwei Sätzen dazu mag Susanne Gaschke ihre Jusos nicht behelligen. Dann geht es lieber wieder um die Gegenwart: „Das mit dem Fischrestaurant bleibt ein wichtiges Projekt.“ Das Projekt stinkt vom Kopfe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod