Die Wahrheit: Der Gottverdammte
Wie katholisch ist eigentlich der Papst?
Zunächst mag es trivial anmuten: Der Papst ist so sehr katholisch, wie’s nur grad geht beziehungsweise Autorität sine qua non, in erster Instanz also topgläubig und Jesuslackl ersten Ranges, maßgeblich in allen Zweifelsfällen. Er ist die ultima ratio; wenn er spricht, schweigen die Pfeifen im Walde.
Auf den zweiten Blick ist die Sache schon komplizierter. Der Papst ist zwar Stellvertreter Gottes, Gott selber aber ist nicht katholisch, sondern „für die Menschen da“ (Claudia Roth). Die Kirche und das Pfaffentum hat Gott eingesetzt, das schon, doch hat er sich selbst kein Amt in ihr gewährt und muss auch keine Steuern zahlen (Zweites Vatikanisches Konzil).
Stichwort Ämterteilung: Der Papst lebt in Rom, Gott aber in einer Eisfestung am Nordpol; man versucht sich nicht ins Gehege zu kommen und trifft sich höchstens auf der Weihnachtsfeier. Indes verfügt der Stellvertreter stets über die Machtfülle des Geschäftsführers: Kraft seiner Unfehlbarkeit ex cathedrale kann er jederzeit nach Gusto die Kirche teilen, spalten, eine neue gründen oder die alte in den Staub treten, ganz wie es ihm passt.
Er kann sich selbst absetzen, jedoch nicht abgesetzt werden; er wird zwar gewählt, kann aber das Wahlrecht beliebig ändern. Er wäre auch noch Papst, wenn er alle anderen Katholiken exkommunizierte; ja sogar dann noch, wenn er in den Wald machte und keiner wäre da, es zu hören. Der Papst verhält sich nun also endlich zur Kirche wie der Töpfer zum Ton, wie der Schöpfer zur Welt oder der Bock zum Gärtner.
Nun ließe sich zwar behende einwerfen: gemach, junger Mann! Denn freilich nun zwar könnte der Papst im Extrem-Case seine ganze Jesuspower (potestas) gegen die Kirche selbst richten, mit seinem Bruder schlafen oder den Welthostienbestand für endgültig aufgebraucht erklären, ohne deswegen gleich zum Gegenpapst zu mutieren – aber er wäre dabei doch immer noch: katholisch!
Auch der König von Frankreich ist ja Franzose, selbst dann, wenn er sich wäscht. Die crux: Der Papst setzt den Maßstab, dessen optimum er zwangsläufig immer selbst ist; niemand kann päpstlicher sein als der Papst (vgl. aber: Matussek). Katholisch sein heißt gänzlich schier also: papstähnlich sein. Der Papst ist die Messlatte der Katholizität, er ist das Thermometer, nicht jedoch das Quecksilber, und wenn von Fahrenheit auf Celsius umgestellt wird, ist er eine Normalnull wie wir alle auch, freilich gar obschon fürwahr.
Doch wie sagt es Jesus an einer Stelle in seinem ersten Roman so schön: „Mene mene tekel, hex hex! Möget ihr alle geschlagen sein mit Aussatz, die ihr mir gefolgt seid!“ Das ist nämlich das Mysterium der Papstwerdung, der Transwarp, die geheime Zutat. Wie eine normale Bienendrohne durch die Speisung mit dem göttlichen gelée royal zur Bienenkönigin reift, so ist auch der Papst solange ein handelsüblicher Kardinal, bis ihm durch ein schwarzmagisches Ritual die Jesuswürde (iesuitas) verliehen wird.
Im Konklave wird der pontifex in spe auf eine mystische Drogenreise geschickt, ähnlich wie in dem Film „Flatliners“: Der Papst wird auf Zimmertemperatur heruntergekühlt, sein Herzschlag verlangsamt, seine Mitra mit Eiswürfeln gefüllt. Dann wird seine Seele vorsichtig vom Körper getrennt, auf dass sie sich aufmacht, Jesu Latschenspuren zu folgen, hinab in die Unterwelt, wo ihn obzwar gar schon mancherlei Drangsal erwartet, zum Beispiel die Begegnung mit dem kleinen Jungen, den er versehentlich getötet hat. An der Höllenpforte angekommen, muss er prüfen, ob die Tore noch standhalten und ob Jesus immer noch in der Hölle gefangen ist, wo er hingehört. Er kontrolliert den Thermostat, bringt ein neues Vorhängeschloss an und macht sich fröhlich pfeifend auf den Weg zurück.
Wenn er die Prozedur überlebt, ist uns ein neuer Papst erstanden, wenn nicht, werden seine sterblichen Überreste kremiert; auf dem Petersplatz sieht man weißen Weihrauch aufsteigen. Durch diese geistige Reise nun also schon ist der Papst ausgezeichnet vor allen Sterblichen, praetor praetoris, Ausrufer, Herold, und kein Katholik wie jeder andere, der die Reise in den Tod noch vor sich hat.
So also gewisslich zwar freilich nun zeigt sich in der Zusammenschau, dass der Fels, auf dem die Kirche steht, nicht die Kirche selbst ist, sondern, kat’ exochen und kat’ amaran, eine causa sui generis, eine in sich selbst reflektierte Selbstbeziehung, und der Papst mithin also daher, quidquid agis und subaquasubaqua, eine der Kirche fremde, ja ihr feindliche Macht, oder um es in den Worten Dietrich Bonhoeffers zu sagen, der gottverdammte Antichrist und die große Hure Babylon, allerdings im positiven Sinne. Darob nunmehr gleichwohl zum Wohl und Prost.
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