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Die WahrheitTipp Ex statt Botox

Kolumne
von Bernd Gieseking

Mein Geburtstag steht vor der Tür, das iPhone 5 ist schon ausverkauft und draußen fallen die Kastanien von den Bäumen. Eine melancholische Zeit.

M ein Geburtstag steht vor der Tür, das iPhone 5 ist schon ausverkauft und draußen fallen die Kastanien von den Bäumen. Eine melancholische Zeit. Ich bin überhaupt kein iPhone-Typ. Ich habe aber trotzdem eins. Das alte. Ich bin ja noch aufgewachsen mit Schreibmaschinen, die Korrekturbänder hatten.

Ich bin die Generation Tipp Ex. Als ich geboren wurde, gab es noch nicht mal Tonkassetten beziehungsweise Musikkassetten. Man hatte das „Tonband“ in ein Kunststoffgehäuse gepackt. Gestern sah ich jemanden, der sein iPhone mit einer gummierten Plastikhülle in Tonkassetten-Design ummantelt hatte.

Es ändert sich so viel. Ich jogge längst nicht mehr so weit und auch nicht mehr so schnell. Meinen nächsten Lebensabschnitt werde ich wohl mit der Zeile überschreiben: Wenn Cowboys Rentner werden. Sobald du mit Haarausfall auf der Harley sitzt, gehörst du dazu. Wir sind die Generation Bonanza-Fahrrad auf dem Weg zum Treppenlift.

Wenn die Knackpunkte eher in den Gelenken sind als im Leben, das gibt zu denken. Gestern waren wir noch Punk, heute sind wir zweiwöchentlich bei der Fußpflege. Früher Feuer, heute höchstens noch Flamme. Früher saßen wir am Lagerfeuer, heute entzünden wir Kaminöfen. Eigentlich „born to be wild“, aber jetzt fast schon altersmild. Früher waren wir jedes Wochenende auf Demos, heute wird mit den Erinnerungen ein Gartenweg gepflastert. Wo Opa von Stalingrad erzählte, schwelgen wir in Erinnerungen an Brockdorf.

Wir wollten die Aufhebung der Trennung von Leben und Arbeit, und das wird für viele auch so bleiben mit einem Leben ohne Arbeit. Wir haben nie von der Rente geträumt und müssen darum jetzt auch nicht enttäuscht sein, wenn wir keine bekommen. Wenn man mehr Falten im Gesicht hat, als in der Origami-Anleitung für den Kranich stehen, ist es Zeit fürs Resümee.

Zu den Ü-30-Partys gehen die Ü-40-Jährigen und Ü-50-Jährigen, um sich jung fühlen zu können. Und sie gehen dorthin zum Tanzen, nicht zum Aufreißen, weil man niemanden mehr flachlegt, muss man sich doch schon vorher erst mal hinlegen.

Alter ist eine der wenigen Sachen, die es umsonst gibt. Man muss nichts dafür tun, und trotzdem wird es ständig mehr. Man selber merkt es allerdings kaum. Man merkt vor allem nicht, während man älter wird, dass man älter wird, man merkt es immer erst, wenn es schon fertig ist. Am Geburtstag.

Oder weil man in den Statistiken in ganz neue Rubriken kommt. Oder weil man nicht mehr so gut „nach unten“ kommt. Ich kenne Menschen in meinem Alter, die schon zum zweiten Mal dritte Zähne bekommen. Früher wurde alle naselang eine angesteckt, heute überträgt man Infektionen.

Ich bin grad in so einer Zwischenzeit: Längst raus aus der Disco, aber weit ab von der Rente. Und das wird wohl so bleiben. Und dann lese ich am Haus gegenüber, an die Wand gesprüht: „Too old to die young!“ Als ich das las, dachte ich nur: „Woher kennen die mich?“ Wer sprüht so was? In die Jahre gekommene Sprayer? Ich geh jetzt einkaufen und suche diese Kassettenhülle für mein iPhone 4.

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2 Kommentare

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  • HB
    Heinz Boxan

    Ich habe den Artikel genüßlich mit schmunzeln gelesen, nett geschrieben, freut mich und habe mich als noch weit Fortgeschrittener erkannt. Für ein anderes Magazin schrieb ich heute morgen einen kleinen "nostalgischen" Artikel. Ich kann nicht umhin den jetzt auch hier anzufügen:

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    Die Alten - die Tante-Emma-Läden - die verlorene Zeit.

     

    Ein heute, über 70jähriger erinnert sich:

    Die Tante-Emma-Läden. Sie waren fast gänzlich verschwunden. Sogar auf dem Land in den kleinsten Dörfern konnte sie ihre Existenz nicht mehr behaupten. Sie gingen schlichtweg ein, weil der große Supermarkt, aus dem Boden gestampft, im Industriegebiet zwischen den Dörfern, um vieles preiswerter war. Die Zeit, wo es den kleinen Bäckerladen, den Kolonialwarenladen und den Dorfmetzger gab, ist schon lange Vergangenheit, der heutigen Generation nicht einmal mehr im Bewusstsein. Im Konsum “Volkwein“ konnte man von der Stecknadel bis hin zum Kilo Mehl, lose aus dem großen Sack und abgewogen in die braunen Spitztüte, quasi alles erwerben, was man für das damals noch recht einfache, stressfreiere Leben benötigte.

     

    Da gab es noch die tierquälerischen Fliegenfänger, die man klebrig lang ausziehen und an die Decke hängen konnte. Die stinkenden Stalaktiten waren in wenigen Tagen überseht mit Fliegenleichen und die vom Aasgeruch angelockten Neuankömmlinge blieben an der heimtückischen Schmiere kleben, zappelten sich erbärmlich summend in den Tod. Es machte uns nichts aus, es war normal, heute undenkbar. Es gab jede Menge Fliegen, weil es noch jede Menge Misthaufen vor den Bauernhöfen gab. Die Schwalben, auch sie gab es noch reichlich, hatten somit viel Futter und ihre Nester klebten unter den Dachrinnen an der Hauswand. Unter ihnen war der Gehsteig weiß verschissen. Auch das störte niemanden. Die Schwalben waren Glücksbringer, abergläubig, dennoch wahr, weil sie uns erfreuten.

     

    Zwölf Lenze zählte ich damals. Kannte nur das abgeschiedene kleine Dorf im tiefsten Nordhessen. In großen Intervallen bekam ich auch mal die Stadt Kassel zu sehen. Das war dann ein besonderes Erlebnis und der Anlass meistens die Anschaffung eines Gegenstandes, den es bei Tante Emma nicht gab, wie zum Beispiel eine neue Hose, weil die alte zuviel Hochwasser meldete und am Hintern reichlich abgewetzt war. Man gelangte zu dieser, Dorfbuben Respekt einflößenden Großstadt, mit dem Postbus, der in aller Herrgottsfrühe beladen mit Arbeitern in Richtung Kassel fuhr, denn auf dem vergessenen Land gab es keine Arbeit, nur Bauern und von denen hielten sich höchsten die großen einen Knecht. Es gab zwei davon, in dem Nest, und einen alten Lanztraktor. Man fuhr nicht direkt nach Kassel, das wäre unrentabel gewesen, so ging es im großen Kreis über 15 Dörfer und las überall Fahrgäste auf. Ein “Dolmosch“-Vorläufer. Abends spät ging es die gleiche Tour rückwärts. Die müde eingeschlafenen Arbeiter wurden vom Chauffeur im jeweiligen Dorf geweckt. Er kannte jeden. Ein Service von dem man nur nostalgisch schmunzelnd träumen kann.

     

    Verdient wurde nur sehr wenig, dafür sehr emsig gearbeitet, wie sonst wäre ein Wirtschaftwunder zustande gekommen. Telefon besaßen nur der Bürgermeister und der Arzt. Es gab sogar einen in unserem Dorf, er war die größte Pfeife, doch kamen alle aus den umliegenden Dörfern zu diesem Quacksalber. Es gab eben weit und breit keinen anderen. Die Alternative wär Kassel gewesen, doch keiner der Bauersleute nahm die Strapaze eine Tagesreise auf sich. Da blieb man doch lieber gesund, egal wie krank man war oder konsultierte die dicke vor Fett schnaufende Pfeife, die Aspirin verschrieb und Wickel verordnete. Dieser Wunderheiler besaß sogar einen VW-Käfer und war sehr respektiert.

     

    Ich sinnierte heute über die vergangene Zeit weil mich ein Tischnachbar dazu angeregt hatte. Nach einem Arztbesuch saß ich indem kleinen Kaffee und lauschte dem Geplauder zweier alten Herren, die in meinem alter waren. Beide labten sich an einem kleinen Fläschchen Bier und trauerten der Zeit nach, wo das Glas, frisch gezapfte Bier, noch für 35 Pfennige zu haben war. Das Minifläschchen, zu Zweieuro und zwanzig, das sie sich von ihrer Schmalspurente leisteten, konnten die beiden nicht verstehen, zumal es ihnen auch nicht so gut wie das von früher zu 35 Schmeckte. Ja, ja ,- früher war alles anders.

    c-inribonax

  • SL
    Sam Lowry

    Wer im Hier und Jetzt lebt wird nicht alt und ist vor allem eins: Glücklich.

    Das Wissen um Vergangenes ist völlig wertlos, davon besitze ich selbst einen riesigen Vorrat; besonders i.B. auf Frauen. Und da merkt man wirklich beim Anblick der Brust, dass Zeit vergangen ist. Und das ist schlimm genug für einen Mann. Trick: BH anlassen.

    Außerdem hat man immer ein Geschenk zu Weihnachten, kann sich in den Unterwäscheabteilungen rumdrücken und mit Verkäuferinnen quatschen, bei denen noch alles steht.

    So schön und einfach kann das Alter sein ;)