Die Wahrheit: Mit Musik in den Abgrund
Ich bin ihm lästig, das merke ich sofort ...
I ch bin ihm lästig, das merke ich sofort. Der Schalterbeamte in der Bank of Ireland in Dublin schiebt mir meine Kreditkartenrechnung und das Bargeld unter der Sicherheitsglaswand zurück und sagt mit gequältem Gesichtsausdruck: „Hier nicht.“ Aber es handle sich um eine Kreditkarte seiner Bank, wende ich ein. „Das ist egal“, entgegnet er. „Du musst am Automaten bezahlen.“
Der steht in der hintersten Ecke der Bank, und davor steht eine Schlange. Seit vorigem Monat kann man am Schalter keine Rechnungen mehr bezahlen. Im Grunde kann man gar nichts mehr außer Geld tauschen, aber nur die gängigen Währungen. Und auch das wird bald der Automat übernehmen.
Die Bankbosse wollen die störenden Kleinkunden loswerden, um sich ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Spekulieren, hingeben zu können. Damit haben sie die Bank schon einmal an die Wand gefahren, sodass sie von mir gerettet werden musste. Na ja, nicht von mir allein, sondern auch von den anderen Steuerzahlern. Eigentlich gehört mir die Bank nun, jedenfalls ein Bruchteil davon.
Aber das nützt mir nichts, ich muss an den Automaten. Als ich meine Kreditkarte einschiebe und auf „Bezahlen“ drücke, öffnet sich ein Schacht wie ein gieriges Maul. Irgendwie ähnelt der Automat nun Seán FitzPatrick, dem ehemaligen Geschäftsführer der Pleitebank Anglo-Irish, auf den ein Strafverfahren wartet. Nachdem ich mein Geld in den Schlund gestopft habe, schließt sich die Klappe, und der Automat macht ein Geräusch, als ob er das Geld zerschreddert – ziemlich passend, wenn man bedenkt, wie viele Milliarden diese Bank an den Finanzmärkten zerschreddert hat.
Ausgerechnet FitzPatrick hat übrigens juristische Schritte gegen ein Musical eingeleitet, weil er darin vorkommen sollte. „Anglo: The Musical“ läuft übermorgen im von Daniel Libeskind entworfenen Grand Canal Theatre in Dublin an. Die Protagonisten werden von Puppen dargestellt, darunter der irische Premierminister Enda Kenny, seine beiden Vorgänger Bertie Ahern und Brian Cowen sowie Angela Merkel. Dennoch ist es keine Horrorshow, sondern eine schwarze Komödie.
Es ist die Geschichte des keltischen Tigers, wie der vorübergehende irische Wirtschaftsboom genannt wurde. Das Ehepaar Diarmuid und Aisling lebt auf Inisduill, einer Insel vor der irischen Westküste. Der Speckgürtel um die Hauptstadt Dublin hat sich bis in den Atlantik ausgedehnt, und die Anglo-Irish Bank eröffnet eine Zweigstelle auf Inisduill. Die Bank überredet Diarmuid und Aisling, einen Kredit in Höhe von 890 Millionen Euro aufzunehmen. Die Folgen sind vorhersehbar.
Eins der 16 Lieder in dem Musical heißt: „Häng noch eine Null dran, er ist ein Freund.“ Ein anderes: „We Are Where We Are and Where We Are Is Fucked.“ Und dann gibt es noch das Lied „Immobilien-Porno“, in dem alle Schlagwörter des Baubooms vorkommen, wie „Bijou“, eine Art Kleinod, oder ein „nach Süden ausgerichteter sonniger Garten“. Möge FitzPatrick eine sonnige Zelle mit Blick nach Süden bekommen.
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