Die Wahrheit: Meister der Kloschüssel
Was geschieht mit einem, der ins Kino geht und in eine Vorstellung des Films „The Master“ von Paul Thomas Anderson gerät?
E s gibt Filme, bei denen man sich fragt: „Bin ich zu doof, oder ist das einfach nur scheiße?“ Filme, nach denen man sich fühlt, als hätte man zwölf Stunden auf dem Bau gearbeitet, und nach denen man ganz dringend ein Feierabendbier braucht. „The Master“ von Regisseur Paul Thomas Anderson ist so ein schwer verdauliches Exemplar cineastischer Folterkunst.
Genau genommen ist der ganze Film reiner Psychoterror, der den Zuschauer zwingt, selbst Stunden nach dem Abspann noch darüber nachzudenken, was das Ganze sollte und warum ausnahmslos alle in dem Film hochgradig gestört sein mussten. Nicht dass diese Überlegungen zu einem Ergebnis führen würden, aber der Mensch muss so ein Trauma schließlich irgendwie verarbeiten. Der eine weint sich in den Schlaf, der andere betäubt sich mit Drogen und der dritte schreibt sich den Ballast von der Seele.
Die Handlung ist schnell erzählt: Der körperlich und geistig völlig kaputte Exsoldat Freddie (Joaquin Phoenix) trifft nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf den nicht minder gestörten Sektenführer Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman). Beide verstricken sich darauf in eine Art pervers-platonische Männerliebe. Freddie scheint den Guru zu inspirieren und dieser wiederum versucht, den krankhaften Alkoholiker per Seelenrückführung zu heilen.
Bei dieser Gelegenheit trinken sie Cocktails, die Freddie aus Gin, Scotch, Terpentin und Schiffsdiesel zusammenrührt und plaudern vergnügt über Mord, Inzest, Kommunisten und Außerirdische. Im Weiteren wird der Film garniert mit schrägen Gesangseinlagen von Philip Seymour Hoffman, zu denen er in einer Kulisse aus nackten Sektenjüngern sogar ein Tänzchen hinlegt.
Fragen wie „Warum in aller Welt?“ oder „Was zum Geier?“ sollte man sich als Zuschauer schleunigst abgewöhnen, denn Logik oder Stringenz sind nicht gerade die Stärken des Films. Der funktioniert nur auf der Metaebene: Als Zuschauer fühlt man sich beim Anblick der quälenden Gehirnwäsche auf der Leinwand auch schnell gefangen und missbraucht. Einige quittieren das mit Gelächter, andere flüchten, der Großteil ist gelähmt und kann sich trotz des offensichtlichen Grauens nicht abwenden.
Auch mit subliminalen Botschaften wird nicht gegeizt. Sätze wie „Ich will dir ins Gesicht furzen!“ oder „Ich kann nicht kommen, mein Raumschiff ist in der Werkstatt!“ entfalten im Unterbewusstsein erst ihre volle zerstörerische Wirkung. Wenn dann Freddie wieder mal durchdreht und in einer Gefängniszelle nur mit purer Körperkraft eine Kloschüssel in tausend Stücke schlägt, möchte man einfach mitmachen und seiner Aggression freien Lauf lassen.
Stattdessen beißt man lediglich in die Lehne des Vordersitzes und sehnt sich, wie der gebrochene Exsoldat Freddie, nur noch danach, dass das Martyrium ein Ende haben möge. Vielleicht dürfte man sogar noch einmal einen Sonnenaufgang erleben? Und schließlich ist man auch wieder frei, wie Sektenführer Dodd es versprochen hat – so frei wie eine Seele es seit Billionen von Jahren nicht war.
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