Die Wahrheit: Lebendiges Kneipensterben
Die Freiheit steht auf dem Spiel - jedenfalls in einer Kaschemme, in der Lungenkrebs und Raucherbein die wesentlichen Themen unserer Zeit verhandeln.
Freiheit, die wird doch mit Füßen getreten heutzutage“, sagt der Mann neben mir und hustet mir ins Gesicht. „Stimmt“, erwidere ich, „wenn Edward Snowden nicht …“ – „Die da oben wollen doch alles kontrollieren“, unterbricht mich der Mann. „Stimmt“, setze ich wieder an, „wenn der Snowden nicht …“ – „40 Jahre konnte ich hier sitzen und rauchen“, redet der Mann weiter, „hat niemanden interessiert.“ Gut, dass Lungenkrebs nicht ansteckend ist, denke ich.
Ächzend steht er auf, schlurft Knöker hustend Richtung Kneipentür und stellt sich so in den Eingang, dass der eiskalte Wind samt Zigarettenrauch bis an die Theke zieht. Ich ziehe meinen Anorak an und bestelle einen heißen Tee.
„Früher war alles besser“, murmelt der Mann auf meiner anderen Seite, der vor fünf Minuten in der geöffneten Tür gestanden und geraucht hat, „früher, da war Freiheit noch was wert.“ – „Wann war denn früher?“, frage ich. Der Mann starrt mich feindselig an. „Linke oder Grüne?“, forscht er verächtlich. „Also, ich bin …“ – „Die Linken und die Grünen, die sind doch alles schuld“, unterbricht mich der Mann, „sollte man alle einsperren.“ – „Frei wären die dann ja aber auch nicht mehr“, gebe ich zu bedenken. „Auch noch Emanze“, nuschelt der Mann und humpelt, deutlich sein Raucherbein nachziehend, zum anderen Zichtenfreund.
„Freiheit ist nix mehr wert“
„Wie die Tiere behandeln die uns“, brummelt der Lungenkrebs, „früher hat’s das nicht gegeben.“ – „Früher war alles besser“, meint das Raucherbein. „Wann war denn nun früher?“, ruf ich. „Wer is’n die?“, will die Lunge wissen und deutet mit der brennenden Zigarette auf mich. „Ne Emanze“, erklärt das Bein, „die wollen auch die Prostitution verbieten.“ – „Freiheit ist nix mehr wert“, grunzt Lungenkrebs, „wenn’s nach mir ging, kämen die alle ins Zuchthaus.“ – „Zuchthaus gibt’s nicht mehr“, röhrt Rosi hinter der Theke. „Haben die zugemacht, weil alle beim Rauchen vor der Tür erfroren sind“, ergänze ich. „Zicke“, knurrt der eine. „Ökoschlunze“, zischelt der andere.
Der Lungenkrebs hustet. Das Raucherbein schüttelt den Kopf. „Früher waren die Zigaretten besser.“ – „Der Hitzlsperger is ja jetzt auch schwul“, bemerkt der Lungenkrebs. „Hat’s früher auch nicht gegeben.“ Schnell nutzt er eine hustenfreie Sekunde, um dem Stummel zwischen seinen Händen noch einen Zug abzujagen. „Schwule und Emanzen …“, beginnt das Raucherbein und lässt offen, was man mit denen tun sollte. Sein Kumpel scheint ihn aber zu verstehen. „Genau“, krächzt er.
Der Lungenkrebs wirft den Zigarettenstummel in den Türeingang und tritt ihn zu Brei. „Alles dasselbe“, bellt der Lungenkrebs, „alles Sozialschmarotzer“ – „Sollte man alle einsperren“, befiehlt das Raucherbein und tritt auch seinen Stummel im Eingang platt. Rosi geht zur Tür und sammelt die Stummel auf. „Putzfrauen waren früher auch billiger“, weiß das Raucherbein. „Viel billiger“, nickt der Lungenkrebs und kriegt einen heftigen Hustenanfall. „Der macht’s auch nicht mehr lang“, weihe ich Rosi ein. Die grinst: „Kneipensterben – kann auch super sein.“
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