Die Wahrheit: Lob des Kacksounds
Das waren noch Zeiten, als die Musik aus kleinen Transistorradios mit weißen Mono-Ohrstöpseln kam. Und höre, es waren gute Zeiten ...
M ir fehlt jedes Verständnis für HiFi-Fanatiker mit Edel-Anlagen, bei denen schon die Lautsprecherkabel so viel kosten wie ein Einfamilienhaus in München-Bogenhausen oder ein Regenmantel aus der Haut einer bedrohten tasmanischen Nacktschneckenart. Guter Sound wird gnadenlos überschätzt. Auch die Vinyl- und Röhrenverstärker-Fetischisten, zumindest die mittleren Alters, müssten das zugeben, wenn sie sich nur daran erinnerten, wann und wie ihre Musikleidenschaft einst aufflammte.
Zu dieser Zeit hörte man Musik auf kleinen Transistorradios. Mit einzelnen weißen Mono-Ohrstöpseln. Oder auf schrammeligen Batterie-Kassettenrecordern. Aufgenommen hatte man die Songs dazu, in Ermangelung eines „Überspielkabels“, meist mit dem Mikrofon vor dem Lautsprecher der klobigen Seventies-Musiktruhe hockend. In der lief dann zum Beispiel die HR3-„Hitparade International“ mit Werner Reinke, und wenn man nicht aufpasste, hatte man am Anfang und Ende auch noch Reinkes Gequatsche drauf.
Oder man versammelte sich pubertierend um einen Koffer-Plattenspieler, den man zur Not auch auf Klassenfahrt mitnehmen konnte und auf den sich Christian S. in der Jugendherberge in Rinteln dann leider pittoresk erbrechen musste. Die abgespielten LPs und Singles waren in der Regel so zerkratzt, dass auch der härteste Vinylfreund um eine MP3 betteln würde, müsste er sie sich heute noch mal anhören. Aber das war alles wurscht.
Die Geschichte der populären Musik ist keine Geschichte des guten Sounds. Zeit für die großen Aufnahme- und Wiedergabe-Innovationen blieb nur denen, die nichts zu sagen hatten. Und die nüchtern genug waren, um über so was nachzudenken. Richtige Künstler schrieben Songs, gingen auf die Bühne, und wenn sie jemand in ein Plattenstudio schubste, nahmen sie eben auch Platten auf. Wenn die auch noch schön klangen – super! War aber keine Bedingung.
Man denke nur an Dylan, Punkrock-Kassetten, Ton Steine Scherben, alle heimlich mitgeschnittenen Bootlegs oder das Musikkonsumentenverhalten der DDR. Ein Musikfan aus der Zone erzählte mir mal, dort habe man manchmal Kassetten-Kopien der zehnten, zwanzigsten oder dreißigsten Generation besessen. Auf denen sei oft mehr Rauschen als Musik zu hören gewesen. Ging auch.
Letzte Woche übrigens hat der große alte Schizophrene Neil Young sein jüngstes Album „ „A Letter Home“ veröffentlicht. Einerseits propagiert der audiophile Klangtüftler gerade ein neues, „besser klingendes“, digitales Musikwiedergabeformat namens Pono, andererseits hat er das aktuelle Album in einer alten Voice-o-Graph-Aufnahme-Box aufgenommen. Das Gerät stammt aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, sieht aus wie eine Telefonzelle und schneidet mit einem Mono-Mikrofon direkt auf Vinyl mit.
„A Letter Home“ hat den subtilen Charme einer Anrufbeantworter-Nachricht: Knisternd, blechern, eigentlich nach heutigen Standard unhörbar. Es würde mich brennend interessieren, wie dieses Werk auf einer 20.000-Euro-Anlage klingt.
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