Die Wahrheit: Weg mit dem Ball!
Die Fußballwelt ist unerträglich geworden: Fans, Verbände, Stadien und Kommentatoren nerven überaus. Ein polemischer Einwurf kurz vor der WM.
Der Fußball soll aufhören. Der Fußball soll abgeschafft werden.
Früher war der Fußball, bei näherer Betrachtung, zwar auch kein keusches Vergnügen, er war keineswegs frei von Korruption, politischer Infiltration, Gier, aber das Fußballmilieu hinterließ doch meist den Eindruck eines harmlosen, nicht selten komischen Soziotops voller Gecken, Spitzbuben und Rumpel- und Rammelrhetoren. Da erduldete man dann mehr oder weniger sogar einen reaktionären Sülzer und CSU-Tünnes wie Waldemar Hartmann.
Heute indes ist ausnahmslos alles scheiße.
Die Stadien hatten einst den spröden (Beton-)Charme großer, lichter, sozialdemokratischer Wurstkessel und Palaverstätten. Heute sind das faschistoide, wichtigtuerisch und rücksichtslos in die Gegend geklotzte Eventbunker mit streng abgegrenzten Konferenzräumen (VIP-Lounges) für die herrschenden Parvenüs und Aasgeier, und das begeistert und restlos konformierende Spießerkonsumentenpublikum lässt sich Getränkezahlkarten, Alkoholverbote und Dauer-PR-Lärmterror gänzlich ohne Murren gefallen.
Fans, früher oft etwas kauzige, bisweilen auch raufende, aber geerdete und noch zur Selbstbesinnung fähige Leidensgenossen, sind heute, mit Abweichungen, auf Führung und ihre Führer fixierte Vollidioten, Wahnsinnige, potenzielle Totschläger. Nach dem Abstieg von Dynamo Dresden aus der zweiten Liga hängten gewohnheitsmäßig randalierende Anhänger dieses sogenannten Vereins ein Transparent mit der Aufschrift „Ihr habt eine Stunde Zeit, unsere Stadt zu verlassen“ auf. Wer das nicht als „Krönung des Irrsinns“ und als „Nötigung“ oder einen „Aufruf zum Mord“ (Spiegel Online) interpretiert, ist so durch und durch gaga wie der gesamte Fußball.
Sind größere Fankontingente, wie beispielsweise im Falle St. Paulis, noch bei Trost und bei Sinnen, lässt der DFB, da die überflüssige sogenannte Nationalmannschaft im Millerntor-Stadion vor einem kreuzbescheuerten Testspiel ein Training absolviert, ein Banner überkleben, auf dem „Kein Fußball den Faschisten“ steht. Weil der DFB, diese Gang ehrenwerter Kämpfer gegen Rassismus, weiß, was für Typen mittlerweile zu einem nicht unerheblichen Teil seine Kunden sind?
Die Verbände. Was soll man zu diesen Versammlungen psychopathischer Penner noch sagen? In Brasilien finden seit Monaten Protestmärsche von Millionen Menschen gegen die WM statt, gegen unermessliche Sozialschweinereien, gegen Geldschiebereien, gegen die Fifa-Fußballdiktatur, und Herr Blatter, der Hegel des Weltfußballs, erklärt, der Fußball sei „Opfer seiner Beliebtheit und seines Erfolgs. Wir müssen das Spiel vor politischen Einflüssen schützen.“
Der Fußball muss weg. Er muss aufhören.
Die Trainer? Man stelle einen Branko Zebec und einen Ernst Happel einem Klopp und einem Tuchel gegenüber. Bei Spielern erkennbar war mal so etwas wie Eigensinn, ein persönliches Profil, eine individuelle Ausdrucksphysiognomie. Heute reden sie alle das gleiche bewerbungsseminaristische Verdeppungsdeutsch daher, sie sehen alle gleich aus (Tattoos und Gockelfrisuren sind Musts), und sie spielen alle den gleichen obrigkeitshörigen Stiefel herunter – opportunistische, in Erziehungslagern zusammengestutzte und -gestückelte Hochleistungsfanatiker mit der Anmutung von Muttersöhnchencyborgs auf Systemfußballspeed.
Kennt noch jemand Rudi Michel, diesen zurückhaltenden Grandseigneur, der fünf Fußballweltmeisterschafts-Endspiele kommentierte? Heute heißen alle, alle, alle Fußballreporter Wolf-Christoph Fuss und sind schamlose Sprachzerschreier und derartige Selbstvermarktungsaufdringlichkeitsclowns, dass man, ist man nicht vollends geistig ruiniert, zu welchem Schluss kommen muss?
Der Fußball muss weg. Es muss mit ihm ein Ende haben.
Und zuletzt die sogenannte Fußballkultur oder Fußballbegleitkultur. Ein Kumpel mailte mir kürzlich 51 YouTube-Links zu aktuellen Fußball-WM-Songs, von denen ein einziger unter Missachtung aller Kriterien für hörbare Musik gerade noch durchging. Bereits die Namen dieser Hobby- und semi- bis professionellen Bands: PoKarl, Mallorca Cowboys, Einohrbill & Band, Die Gestiefelten Zwerge, Roboshit, Partybengels und so fort – es sprengt alle Dimensionen der Schande. Wie sie dann jedoch die Noten misshandeln und zusammenpappen, das wirft die Frage auf, ob man die ganze Bagage dafür nicht verklagen kann – für die am Computer montierten Bauerntrampeldiskostampfer, die Ballermannfanmeilenpartykloakenhits, den Spaßpunkmüll, die 80er-Jahre-Wiedergängereien, den Rentnerelektrosonderkehricht. Verflucht sei die digitale Technik!
Die Botschaften all der Versschmiede mit schwarz-rot-goldenen Narrenkappen und in Volksgemeinschaftsgewändern? „Lasst die Fahnen weh’n!“, „Holt den Sieg!“, „Wir stehen hinter unserer Farbe, ich und du, Schwarz-Rot-Gold!“, „Und wenn der Ball dann rollt, spielt nur noch Schwarz-Rot-Gold“. Warum musste die Evolution die menschliche Sprache hervorbringen? Die Fußball-WM-Songs 2014 sind der finale Anschlag aufs Gemüt, eine ästhetische Generaldemütigung, eine kriminelle Versaubeutelung des öffentlichen Raums. Sie sind die Vertonung der Hölle und die Verschrottung der Welt.
Der Fußball muss aufhören, er muss abgeschafft werden.
„Der Fußball hat mit dem Fußball nichts mehr zu tun“, sagte mir unlängst der ungemein sympathische Slobodan Komljenovic, ehemaliger serbischer Nationalspieler und Verteidiger von Eintracht Frankfurt.
Der Fußball soll aufhören. Er soll abgeschafft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag