Die Wahrheit: In Plüschhandschellen

Einbrüche hinterlassen bei Betroffenen tiefe Spuren, viele sind zutiefst verstört. Ein Leidtragender berichtet.

Bild: Ari Plikat

Immer neue Meldungen über eine stetig wachsende Zahl von Einbrüchen verunsichern die deutsche Bevölkerung. Viele Opfer dieser Verbrechen werden nicht nur materiell schwer geschädigt, noch schlimmer sind oft die psychischen Folgen. Viele Betroffene müssen sich in eine Therapie begeben, um das Trauma zu überwinden. Einer von ihnen ist Tim K., der auch fast ein Jahr nach der Tat noch immer unter Angstzuständen und Depressionen leidet. Mit Tränen in den Augen berichtet er von dem schrecklichen Geschehen:

„Es war Sommer und ich wollte mir ein bisschen Stoff besorgen, um ordentlich zu feiern, aber mir fehlte leider das Geld. Mein Kumpel Sven gab mir da den Tipp, dass man in der Urlaubszeit in der Vorstadt günstig einen kleinen Bruch machen kann, weil die ganzen Leute in den Ferien sind. Ich fahr ja nie weg im Sommer, dazu fehlt mir die Kohle. Das Geld brauch ich halt für meine Gehirnferien. Ich fahre also raus an den Stadtrand, dorthin, wo die Reichen wohnen und ich sonst nie bin.

Ganz früh bin ich da, weil ich mir denke: Guckst du mal, wo Leute vor der Garage ihre Urlaubssachen ins Auto packen. Und bald sehe ich wirklich ein junges Pärchen, wie sie ihren Kombi vollstopfen und sogar noch so eine von diesen Kisten, die wie ein Sarg aussehen, aufs Dach hieven. Ich schau mir die Sache so lange an, bis ich sicher bin, dass sie auch wirklich wegfahren. Ich hätte aber schon misstrauisch werden sollen. Die hatten da eine Hecke ums Grundstück, akkurat auf Kante getrimmt. Was soll das? Wer was Eckiges will, kann sich doch gleich eine Mauer hinsetzen lassen! Eine Alarmanlage hatten sie jedenfalls nicht.

Nachts bin ich wiedergekommen, mit ein bisschen Werkzeug in der Jacke, und mit Sven, der draußen die Augen offenhielt. Über die Hecke kam ich problemlos, ein automatisches Licht ging an, als ich über den Rasen flitzte, aber die Terrassentür war kein Problem für mich. Ich sah mich drinnen um und bekam gleich einen Schock. Im Hausflur standen da ein Dutzend Schuhe exakt in Reih und Glied, wie eine Armee von Fußstapfen bereit zum Abmarsch. Und daneben als Hausschuhe noch so lustige Tierfüße. Mir wurde schon übel.

Ich warf einen Blick in die Küche: Poster mit exotischen Gewürzen an der Wand, eine Kaffeemaschine so groß wie ein Schiffsmotor, aber kein vernünftiges Bier im Kühlschrank, dafür Bionaden in allen Sorten. Und alles so widerlich sauber, als würden die ihre Wände und Möbel einmal täglich ablecken.

Mein Kumpel Sven arbeitet als Paketbote, der hatte mir schon öfter erzählt, dass so Leute wohnen, die sich für glücklich halten. Ich wollte es nicht glauben. Im Wohnzimmer bin ich dann durch die Schränke und Regale gegangen. Es war grausam. Musik: Grönemeyer, Unheilig und der Soundtrack von „Amélie“. Bücher: Frank Schätzing, „Shades of Grey“ und Thilo Sarrazin. Und Gesellschaftsspiele, Dutzende Gesellschaftsspiele! Wozu braucht man so etwas? Haben die keinen Bock mehr, miteinander zu schlafen und spielen stattdessen „Die Siedler von Catan“? Ich hab dann einen Gummibaum umgeschmissen, einfach, weil die Aggression raus musste.

Das Schlafzimmer hätte ich mir wirklich sparen sollen. Aber ich dachte, sie könnten ihre Wertsachen vielleicht unter der Matratze versteckt haben. Da kam nun aber alles zusammen: Ein Teddy im Ehebett! Im Nachtschränkchen „Der perfekte Liebhaber“ und „Die perfekte Liebhaberin“, natürlich nur das zweite angelesen. Dann ein Album mit erotischen Fotografien, wie man sie zum Hochzeitstag im Fotostudio machen lässt. Aber das Schlimmste: Handschellen, Handschellen mit rosa Plüschüberzug. Ich musste mich hinsetzen und losheulen. Das war einfach zu viel.

Ich dachte: Mein Leben ist ja schon übel, aber wie traurig ist denn erst das hier? Ich hab dann selbst die Polizei gerufen. Die waren nett und haben mich aufs Revier mitgenommen. So etwas komme hier in der Gegend öfter vor, meinten sie. Ich bin mit Bewährung davongekommen, denn ich habe dem Richter hoch und heilig versprochen, so etwas nie wieder zu machen. Diesen Anblick könnte ich nicht noch einmal ertragen. Ich hab sogar mit den Drogen aufgehört, damit ich gar nicht erst wieder in Versuchung komme. Nur die Erinnerungen, diese schrecklichen Erinnerungen, die werde ich wohl nie wieder los.“

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