Die Wahrheit: Im Rotweintank
Bei den Sozialdemokraten ist der Aufruhr groß: Welchem Genossen gelingt der nächste richtig geile Skandal?
Friedhofsruhe, wenn nicht Totenstarre ist es, was derzeit bei den Sozialdemokraten herrscht - jedenfalls an der matt schimmernden Oberfläche der jahrhundertealten Partei. Wer indes hinabtaucht in die pupsgraue Welt ihrer Ortsvereine und Bezirksgliederungen, stellt flugs fest: An der Basis gärt es wie in einem verrosteten Rotweintank. Seit die wichtigsten Innenexperten der Fraktion nacheinander als pädophile Pornofans und durchgeknallte Drogenfreaks geoutet worden sind, gibt es nur noch eins, was die aufgekratzten Mitglieder beschäftigt: Wer ist der Nächste? Und mit welchem herrlichen Verstoß gegen die guten Sitten wird er in den nächsten Wochen einen handfesten Skandal entfachen?
Alle Augen richten sich wie selbstverständlich auf Thomas Oppermann. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion ist in der Öffentlichkeit bekannt wie ein gründlich entfärbter Hund. Er war über lange Jahre hinweg ebenfalls eine innenpolitische Koryphäe und wäre, wie viele Genossen betonen, absolut verdient an der Reihe.
Ihm trauen sie einiges zu: Taschendiebstahl, Scheckkartenbetrug, Produktpiraterie, vielleicht sogar den Betrieb mehrerer illegaler Bordelle, darunter eins mit Flatrate-Angebot. Außerdem hat er durch sein ungeschicktes Wirken in der Edathyaffäre bewiesen, dass er auffällig wenig Talent zum Krisenmanagement besitzt. Viele freuen sich jetzt schon: Im Falle eines heftigen Mediengewitters würde er womöglich für monatelange Peinlichkeiten bürgen.
Denn beileibe nicht alle Mitglieder fürchten sich vor dem heranrollenden Skandal. Eine überwältigende Mehrheit sieht in den Enthüllungen die Chance, endlich das Image der SPD aufzupolieren. Dass die biederste aller Parteien eine Frischzellenkur nötig hat, wissen an der Basis alle. Von den delikaten Schlagzeilen erhoffen sie sich mehr Aufmerksamkeit für ihre stinklangweiligen Probleme. Manch einer sieht sogar die Zeit für einen grundlegenden Richtungswechsel gekommen; bunter und menschlicher soll die Partei werden. Zudem fehlt es, wie Parteistrategen betonen, nach dem Ausscheiden der FDP aus dem parlamentarischen System an einer wählbaren Alternative für das kriminelle Milieu.
Eins-a-Gerüchte im Umlauf
Solange Oppermann von seinen Machenschaften allerdings nichts nach außen dringen lässt, richten sich die Hoffnungen weiterhin auf die Innenpolitik, genauer: einige zweitrangige Innenpolitiker, denen Urkundenfälschung und Waffenschmuggel nachgesagt werden. Sollten sich die Verdächtigungen als grundlos erweisen, ist aber auf jeden Fall die Parteiprominenz dran. Über die Landesgrößen Hannelore Kraft und Olaf Scholz sind schon lange Eins-a-Gerüchte im Umlauf, es geht um Datenkorruption, Tierquälerei und Sextourismus. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz könnte dem Vernehmen nach Praktikantinnen misshandelt und Bahnbonuspunkte missbräuchlich abgerechnet haben.
Andere im Fußvolk bringen hingegen Spitzengenossen ins Spiel, die ohnehin auf der Abschussliste stehen - zum Beispiel die große Unbekannte der Partei, Generalsekretärin XY (Name der Redaktion bekannt). Ihr werden Falschparken mit Minderjährigen sowie anonyme Postings im Internet mit teilweise haarsträubend falschgeschriebenen Beschimpfungen vorgeworfen. Und über Klaus Wowereit ist hinter vorgehaltener Hand zu hören, er verantworte unglaubliche Schlampereien bei einem milliardenteuren Großbauprojekt - sollte sich dieser ungeheuerliche Verdacht bewahrheiten, das schwant inzwischen jedem, müsste der Regierende Bürgermeister sofort zurücktreten und im Ausland untertauchen.
Ganz besonders pikant brodelt die Gerüchteküche aber, wenn es um die Spitze der Partei und ihre Regierungsmitglieder geht. "Der Kopf stinkt natürlich besonders nach Fisch, also, äh, aus dem Mund", stammeln zu diesem Thema die meisten Genossen, weil sie wie alle Sozialdemokraten wieder einmal die richtigen Worte nicht finden.
Die da hießen: Eine Hydra stinkt selbstverständlich von ihren vielen Köpfen her. Bei Heiko Maas, Manuela Schwesig und Barbara Hendricks ist man sich deshalb sicher: Lebensmittelvergiftung, Beschaffungskriminalität, Zoophilie in Tateinheit mit Menschenverachtung und Samenraub sind das Allermindeste, was diese Herrschaften auf dem Kerbholz haben. Aber was ist mit Nahles, was mit Steinmeier? Wer ist am nächsten an der Innenpolitik dran, wer generell am perversesten und rauschmäßig am schärfsten drauf? Kurzum: Wer zerhackt bedrogt zu Hause Postbotinnen mit dem Beil, wer macht dem Nachbarshund in aller Öffentlichkeit auf den Kopf?
Im Willy-Brandt-Haus ist man sich einig: Solches und ähnliches kann nur der Gabriel. Die über zweihundert Angestellten in der Parteizentrale trauen dem Mann aus Erfahrung "alles zu" bzw. "nicht über den Weg" und wetten deshalb hohe Summen darauf, dass er am Ende das Rennen macht. Für welches Vergehen genau er dann Rechenschaft ablegen muss, möchten sie lieber nicht sagen. Die Chiffren, die dafür unter ihnen kursieren, lauten jedenfalls "Hartz V" und "WW 3".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ministerpräsident in Thüringen gewählt
Mario Voigt schafft es im ersten Versuch
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“