Die Wahrheit: Heil dir im Kanzlerkranz
Heute vor einem Jahr wurde der große deutsche Politiker Karl-Theodor von und zu Guttenberg Bundeskanzler. Ein schönes Dienstjubiläum.
Von Zeit zu Zeit ist es angebracht, auf das Vergangene zurückzuschauen und sich zu vergegenwärtigen, dass alles ganz anders hätte kommen können, als es heute ist. So auch im Falle unseres verehrten Bundeskanzlers und früheren Bundesministers und Doktortitelträgers Karl-Theodor von und zu Guttenberg.
Erinnern wir uns: Es ist der 18. Februar 2011, die deutsche Öffentlichkeit wartet auf eine Stellungnahme des Ministers Guttenberg zu den Vorwürfen um seine Doktorarbeit. Noch will niemand so recht wahrhaben, dass da etwas dran sein könnte und dass der Minister mit der gepflegten Gelfrisur wirklich selbst plagiiert und gezielt getäuscht haben sollte. An diesem 18. Februar tritt jedoch nicht, wie erwartet, Guttenberg selbst vor die versammelten Fernsehkameras, sondern sein Pressesprecher Steffen Moritz. Der spricht die berühmt gewordenen Sätze: „Seine von mir verfasste Dissertation ist ein Plagiat. Dieses Plagiat ist keine Doktorarbeit.“
Was folgt, ist ein kollektiver Aufschrei in den Medien und im Bundestag, der Rücktritt von seinem Amt als Verteidigungsminister wird für Guttenberg unvermeidlich. Doch bei alldem steigt seine Beliebtheit noch an. Fast jeder, den man fragt, hat auf einmal ein gutes Wort für ihn übrig. „Chapeau! Ehrlichkeit ist immer gefragt, solche Leute bräuchten wir auch in unserer Partei“, hört man zum Beispiel wiederholt Gregor Gysi sagen.
Auch die deutsche Journaille gibt schließlich der vorherrschenden Stimmung im Lande nach. „Wer braucht schon einen Doktortitel? In der Politik haben wir doch keine Wissenschaftler nötig, sondern Menschen mit Anstand und mit Blick fürs Gemeinwohl!“, ist bald in einer überregionalen Boulevardzeitung zu lesen. Die Kritik konzentriert sich in der Folge weniger auf das Fehlverhalten des Ministers, also auf sein Zurückgreifen auf einen Ghostwriter, dafür immer nachdrücklicher auf die „vergiftete politische Kultur“ Deutschlands, in der ein Mann vom „Format eines Guttenbergs“ glauben muss, einen Doktortitel „nötig zu haben“. Die moralische Verfehlung sei „nicht bei K-T zu suchen“, sondern bei den „Schmierfinken und Moralaposteln in Medien, Wissenschaft und Politik, die nun über ihn urteilen“, ist im Spiegel zu lesen.
Den Haustand verschifft
Guttenberg zieht sich zunächst aus der Politik zurück, gibt Titel und Ämter auf, verschifft seinen Hausstand und geht mit seiner Familie nach Greenwich in die USA. Im Verlauf des Jahres 2011 wird es ruhig um ihn, die Medien sind mit anderen Themen beschäftigt: Fukushima, Arabischer Frühling, Frauenfußball-Weltmeisterschaft.
Doch dann kommt das Jahr 2012, das Jahr der Eurokrise, und das soll seine große Stunde werden. Die kritischen Stimmen gegenüber Kanzlerin Angela Merkel werden immer lauter, die „eiserne Lady“ ist drauf und dran Deutschlands guten Ruf in Europa und der Welt mit ihrem unnachgiebigen und eiskalten Wesen zu verspielen. Ein Politiker ist gefragt, der die Sympathien der Deutschen und der Europäer auf seiner Seite hat, jemand, dem die Menschen vertrauen, der ehrlich ist und auch mal einen Fehler zugibt. Jemand wie du und ich eben, nur mit mehr Glamour.
So gelingt schließlich das große Comeback Guttenbergs in der Bundespolitik: Aus dem Stand wird er von der CDU/CSU zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahlen 2013 ernannt. Der Rest ist Geschichte. Die Sozialdemokraten und ihr Kandidat Peer Steinbrück demontieren sich selbst, weil sie noch nicht mal ein Schachbrett richtig herum aufbauen können. Guttenberg wird Kanzler, Europa gewinnt neues Vertrauen in die deutsche Politik und deren charismatischen Anführer. Die Krise beruhigt sich.
Nun lässt sich selbstverständlich fragen: Was wäre gewesen, wenn Guttenberg tatsächlich selbst in seiner Arbeit getäuscht hätte, und keinen Ghostwriter gehabt hätte, den er der Öffentlichkeit hätte präsentieren können? Dann wäre er sicher schnell in der politischen Versenkung verschwunden, die Deutschen und ihre moralischen Grundsätze sind schließlich unerbittlich. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, heißt es. Ein Glück also, dass es so nicht kam, und Karl-Theodor von und zu Guttenberg nur betrogen, aber nicht gelogen hat. So rufen wir ihm freudig zu: herzlichen Glückwunsch zum ersten erfolgreichen Jahr im Bundeskanzleramt!
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